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Forscher des Luxembourg Institute of Health (LIH) haben innovative, von körpereigenen Immunstoffen abgeleitete Moleküle erzeugt, die zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden könnten.
Laborexperimente zeigen, dass sich diese Moleküle selektiv an Krebszellen binden und deren Zerstörung veranlassen. Die Besonderheit der Wirkstoffe ist ihre Fähigkeit das Komplementsystem - ein Netzwerk an Serumproteinen - effizient zu aktivieren, damit dieses anschließend unterschiedene Immunantworten gegen die Krebszellen lenken kann.
Die Moleküle haben Potenzial für den Einsatz in der Immuntherapie, müssen aber zuerst noch in präklinischen und klinischen Studien getestet werden. Dem LIH wurden kürzlich bedeutende Drittmittel vom Fonds National de la Recherche (FNR) zugewiesen, um dieses Projekt der Medikamentenentwicklung von der Laborbank bis hin zum Patientenbett voranzutreiben.
Krebszellen als Angriffsziel kennzeichnen
Neben traditionellen Methoden der Krebsbekämpfung wie Chemo- und Strahlentherapie gibt es eine rezentere Strategie, die derzeit die Behandlung von Krebs revolutioniert: die Immuntherapie. Diese Behandlungsform stärkt das Immunsystem, so dass es Krebszellen selbst effizient abtöten kann. Tumorzellen entwickeln nämlich häufig Mechanismen, mit denen sie sich für das Immunsystem unsichtbar machen oder die Immunabwehr hemmen können. Die Immuntherapie kann diesen Mechanismen entgegenwirken, weshalb sie rasch in die klinische Praxis integriert wurde. Die derzeit angewendeten Wirkstoffe sind zumeist Antikörper, die spezifische Moleküle auf der Oberfläche von Krebszellen erkennen können. Die Bindung der Antikörper macht die bösartigen Zellen erkennbar für das Immunsystem und daher angreifbar.
Bei herkömmlichen Immuntherapien binden die Antikörper nicht immer in ausreichender Menge um die Aktivierungsschwelle des Immunsystems zu erreichen. Sie müssen veranlassen, dass sich das Komplementsystem - ein Netzwerk an Serumproteinen - auf der Oberfläche der Zellen zusammensetzt. Dr. Xavier Dervillez und Dr. Carole Devaux, Forscher am « Department of Infection and Immunity » des LIH, haben künstliche Antikörper, sogenannte Immunokonjugate, entwickelt, welche die Rekrutierung der Komplementkomponenten zur Zerstörung von Krebszellen erleichtert. Diese Moleküle sind zudem in der Lage, verschiedenartige Immunantworten schnell und simultan auszulösen, eine Neuheit im Vergleich zu bestehenden Wirkstoffen. Die Forscher bezeichnen ihre Moleküle als « complement multimeric immunotherapeutic complexes », kurz CoMiX.
„CoMiX sind innovative Moleküle, denn sie sind modular und multifunktional, und können Krebszellen auf unterschiedliche Art angreifen“, erklärt Dr. Xavier Dervillez, Erfinder der Technologie. „Unsere Wirkstoffe haben je einen zentralen Baustein, der als Bindeglied für mehrere Einheiten mit verschiedenen biologischen Funktionen dient. Jedes Molekül besitzt eine Targeting-Funktion zur Erkennung der Krebszellen und zwei Effektor-Funktionen, die über die Komplementaktivierung zwei unterschiedliche Immunantworten auslösen können. Die Krebszellen werden zum einen durch die Bildung von Poren in ihrer Membran und zum anderen durch den Angriff von Effektor-Immunzellen zerstört.“
Ein langwieriger Entwicklungsprozess
Es war ein langer Weg bis zum jetzigen Entwicklungsstand der Wirkstoffe. Zunächst wollten die beiden Wissenschaftler, die sich auf AIDS-Forschung spezialisiert haben, eine Behandlung gegen das menschliche Immunschwäche-Virus HIV entwickeln. Das Wirkprinzip von CoMiX hat sich jedoch als sehr effizient in der Zerstörung von Krebszellen erwiesen. In Zellkulturen wurden die Moleküle auf zwei Krebsarten getestet: Brustkrebs - repräsentativ für einen „soliden“ Tumor, und Lymphom - repräsentativ für einen „flüssigen“ Tumor. Diese Versuche lieferten vielversprechende Ergebnisse und zeigten, dass die Behandlungsstrategie auf verschiedene Krebsarten angewendet werden kann.
Die Molekülstruktur wurde im Laufe der Zeit optimiert. Die erste Wirkstoffgeneration war mit zwei Funktionen ausgestattet, die Zweite mit drei. Diese neue Generation ermöglicht die gleichzeitige Aktivierung von zwei Immunantworten über das Komplementsystem auf der Oberfläche von Krebszellen, was man mit konventionellen Antikörpern nicht erreichen kann. Um die Erfindung zu schützen wurde 2016 ein Patentantrag eingereicht. Nach über vier Jahren Forschungarbeit, in denen zahlreiche CoMiX-Varianten entwickelt und in Zellkulturen auf ihre Wirksamkeit geprüft wurden, ist die Technologie nun genügend ausgereift für den nächsten Schritt der Medikamentenentwicklung: die präklinische Phase.
Zur Weiterführung des Projekts hat der „Fonds National de la Recherche“ (FNR), bedeutendster Forschungsförderer in Luxemburg, Drittmittel in Höhe von fast 500.000 Euro über sein Förderprogramm Proof-of-Concept (PoC), das Forschungsinstitute bei der Wertschöpfung und Vermarktung ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse unterstützt, zur Verfügung gestellt. Es ist das erste Mal, dass das LIH eine Finanzierung dieser Art erhält.
Die Forscher können nun präklinische Studien an Tiermodellen durchführen, ein notwendiger Schritt, bevor die Moleküle in klinischen Tests an Patienten verabreicht werden können. Mit Versuchen an Mäusen, unter strikter Einhaltung der Richtlinien, kann die Wirksamkeit der Moleküle in einem lebenden Organismus überprüft werden. Darüber hinaus dienen die Studien dazu, die Sicherheit der intravenösen Verabreichung der Wirkstoffe und das mögliche Auftreten von Nebenwirkungen zu untersuchen.
Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit Prof. Iris Behrmann der „Life Sciences Research Unit“ der Universität Luxemburg und Prof. Jacques Cohen des „Laboratoire de Recherche en Nanosciences“ der Universität Reims Champagne-Ardenne durchgeführt. Es hat auch schon die Aufmerksamkeit der Pharmaindustrie auf sich gezogen. „Mehrere Pharmaunternehmen haben Interesse an unseren Wirkstoffen“, teilt Projektleiterin Dr. Carole Devaux mit. „Sind die präklinischen Studien erfolgreich, so hoffen wir, dass die Unternehmen uns als Partner begleiten werden, um das Projekt bis zur klinischen Anwendung voranzutreiben.“
Autor: Luxembourg Institute of Health (LIH)
Foto: LIH (Das LIH-Team (Forscher und Technology Transfer, mit Carole Devaux und Xavier Dervillez in der Mitte der ersten Reihe)
Infobox
Das Luxembourg Institute of Health (LIH) ist ein öffentliches Forschungsinstitut an der Spitze der biomedizinischen Wissenschaften. Mit seinen Knowhow in den Schwerpunkten öffentliche Gesundheit, Krebserkrankungen, Infektion und Immunität sowie in der Lagerung und Bearbeitung von biologischen Proben, engagiert sich das Institut durch seiner Forschungsarbeiten für die Gesundheit der Menschen. Am LIH arbeiten mehr als 300 Personen mit dem gemeinsamen Ziel das Wissen über Krankheitsmechanismen voranzutreiben und so neue Diagnoseverfahren, innovative Therapieansätze und effiziente Tools für die personalisierte Medizin zu entwickeln. Das Institut ist der erste Anbieter von Informationen zur öffentlichen Gesundheit in Luxemburg, ein verlässlicher Kooperationspartner für lokale und internationale Projekte sowie ein attraktiver Ausbildungsplatz für Nachwuchsforscher. www.lih.lu
PoC oder "Proof-of-Concept" (vor kurzem umbenannt in JUMP) ist ein kompetitives Förderinstrument des „Fonds National de la Recherche“ (FNR) zur Anwendung und Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen. Um die Umsetzung vielversprechender Forschungsvorhaben mit hohem Potenzial für marktfähige Innovationen zu fördern, unterstützt das PoC-Programm luxemburgische Forschungseinrichtungen dabei, ihre Forschungsideen attraktiver für potenzielle Investoren zu gestalten und positive Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu erzielen. https://www.fnr.lu/funding-instruments/jump/
Dr. Carole Devaux
Department of Infection and Immunity
Luxembourg Institute of Health
E-mail: carole.devaux@lih.lu
Verfügbarkeit für Interviews: auf Anfrage bei der Kommunikationsabteilung
Juliette Pertuy
Kommunikationsmanager
Luxembourg Institute of Health
Tel: +352 26970-893
E-mail : juliette.pertuy@lih.lu
Dr. Malou Fraiture
Scientific writer
Luxembourg Institute of Health
Tel: +352 26970-895
E-Mail : malou.fraiture@lih.lu