covidmemory.lu
Herr Krebs, warum sammeln Sie als Historiker auf der Plattform covidmemory.lu schon heute Fotos, Videos und Interviews zu einer Krise, die noch nicht Geschichte ist?
Tatsächlich beschäftigen wir uns als Historiker zumeist mit Dingen, die mindestens 10 bis 15 Jahre in der Vergangenheit liegen. In der Krise haben wir uns aber gefragt, was wir unmittelbar machen können, um zur Bewältigung der Krise beizutragen. Wir wollten ein Kommunikationsforum zur Verfügung stellen, in dem Menschen ihre Erinnerungen teilen können, aber auch sehen, dass andere ganz ähnliche Erfahrungen machen. Wir haben die Rückmeldung bekommen, dass es vielen bei einer Art „Psychohygiene“ geholfen hat – also einen distanzierten Blick zu bekommen und zu sehen, dass man mit seinen Erlebnissen nicht alleine ist.
Sie verfolgen aber auch einen wissenschaftlichen und historischen Anspruch…
Genau. Wir wollen ein Archiv schaffen, von dem ausgehend Forscher in 20 Jahren analysieren können, wie die Alltagsgeschichte zu Zeiten der Krise in Luxemburg verlief.
Könnte man da nicht einfach in Facebook schauen, oder auf Instagram?
Auf den Social-Media-Plattformen gibt es sicher ähnliche Beiträge. Ob diese in 20 Jahren noch abrufbar sind, ist aber unsicher! Unser Archiv soll in 20 Jahren noch erreichbar sein. Und wir lassen die Menschen auch nicht nur bei uns posten. Wir ergänzen das Archiv durch gesammelte Blogseiten, die zum Teil sehr schnell wieder offline gehen und sonst verloren wären. Zusätzlich führen wir Interviews mit Personen aus dem Gesundheitssektor, die wir auf #covidmemory zugänglich machen werden. Anhand dieser kann man den Verlauf der Krise aus der Perspektive etwa von Ärztinnen und Pflegern betrachten. Wir überlegen auch, wie man Tweets integrieren und archivieren kann.
Bildet das Archiv nicht auch ein Zerrbild ab – wenn vornehmlich internetaffine Personen ihre Erinnerungen hochladen?
Dazu führen wir eine lebhafte Diskussion. In der Tat ist der auf der Seite abgebildete Blick eher von pittoresken Aspekten, etwa der ungewohnten Stille in der Stadt geprägt und nicht durch Menschen bestimmt, die durch Krankheit betroffen waren. Aber: Eine Verzerrung gibt es bei allen Quellen. Als Historiker versuchen wir immer, diese miteinander korrespondieren zu lassen, um ein stimmiges Gesamtbild zu bekommen. Dazu werden wir einerseits weitere Quellen in die Plattform integrieren, z.B. führt der Kollege Benoît Majerus mit seinem Team Oral History-Interviews mit Personen aus dem Gesundheits- und Pflegesektor. Zum anderen werden wir für unsere Analysen andere publizierte und nicht-publizierte Quellen hinzuziehen. Wir erheben also nicht den Anspruch, dass #covidmemory alleine die gesamte Geschichte der Krise abbilden kann.
Wie geht es nun weiter?
Wir sammeln noch mindestens ein Jahr. Dann werden wir uns überlegen, wie man eine Auswertung gestalten kann. Es gibt viele ähnliche Projekte auch in anderen Ländern, mit denen wir in Kontakt stehen und Mehrwerte schaffen können. Zunächst einmal werden wir nun mit der Förderung durch den FNR die technische Seite der Plattform weiterentwickeln, um die Bearbeitung auch mehrsprachig zu vereinfachen.
Die Internetseite covidmemory.lu ist in vier Sprachen verfügbar (Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch).
Text: Tim Haarmann
Photo: Stefan Krebs