(c) MNHN
Ein im Süden Luxemburgs ausgegrabenes Fossil wurde vom MNHN untersucht – es handelt sich um eine bislang unbekannte Art eines seltenen Meeressauriers. Ein Schatz für Paläontologen.
Am 18. Oktober 2017 erschien in der anerkannten Fachzeitschrift Geological Magazine ein Artikel, der eine neue Plesiosaurierart beschreibt: Microleidus Melusinae, ein etwa 2,5m langes Meeresreptil, das vor rund 180 Millionen Jahren auf dem Gebiet des heutigen Luxemburg gelebt hat.
Das Fossil wurde von einem Amateursammler bereits vor über 20 Jahren auf einer Baustelle entdeckt, erst nach dessen Tod kam es in den Besitz des MNHN und konnte dort fachgerecht untersucht und ausgewertet werden. Die Freude war groß, als sich nun herausstellte, dass es sich bei dem Fund um eine bislang noch unbekannte Art einer etwa delfingroßen Plesiosauriergattung handelt. (Was ist ein Plesiosaurier? Siehe Infobox) Morgen, am 23. Januar ist eine Konferenz im 'naturmusée' über den in Luxemburg gefundenen Meeressaurier: https://www.facebook.com/events/1743444549062335/
(Foto: Studio Frank Weber)
Eine Schatztruhe für Forscher: Fossilien in Luxemburg oftmals besonders gut erhalten
Das versteinerte Skelett, das im MNHN ausgestellt wird, ist vom Schädel bis zur Rumpfmitte erhalten, der Unterleib konnte nicht geborgen werden. Schlimm ist das nicht, sagt Robert Weis, Paläontologe am MNHN: „Das Wichtigste kann man aus dem Schädel ablesen, der Schwanz ist nicht so relevant.“
Obwohl das Fossil für Laien recht unscheinbar aussieht, ist sein Zustand für die Forschung ein Schatz – nicht unüblich für luxemburgische Fossilien: Luxemburg ist reich an Fossilien. Grund hierfür ist das Vorkommen des Posidonienschiefers, ein kohlenstoffreicher Tonstein, der aufgrund seines geringen Sauerstoffgehalts Fossilien besonders gut konserviert. Darüber hinaus finden sich im luxemburgischen Posidonienschiefer mitunter Kalkknollen. Diese versteinerten Bälle umhüllen das Fossil und verhindern so, dass es zwischen den Gesteinsformationen platt gedrückt wird. Viele der luxemburgischen Fossilien sind darum in ihrer Dreidimensionalität erhalten. (Was ist Posidonienschiefer? Siehe Infobox)
So auch Microleidus Melusinae. Durch dessen Bekanntwerden in der Fachwelt werden nun Paläontologen aus aller Welt auf die Sammlung im Großherzogtum aufmerksam. „Luxemburg ist ein toller Standort für die Paläontologie, und das spricht sich mittlerweile herum“, freut sich Weis.
Hier ein Foto vom Fossil (von Interpub)
Luxemburg vor 183 Millionen Jahren: Ziemlich anders als heute
Das „Luxemburg“, in dem Microleidus Melusinae vor 183 Millionen Jahren lebte, sah ein wenig anders aus als heute (hier ein Link zu einer Landkarte von damals). Im frühen Jura, zerbrach gerade der Riesenkontinent Pangäa. Auf dem Gebiet Mittel- und Westeuropas entstanden zwischen vielen kleineren Inseln Schelfmeere, also Meere von maximal 200 Metern Tiefe, die darum lichtdurchflutet, warm und artenreich sind.
Der Großteil von „Luxemburg“ lag in einem solchen Meer, ein kleines Stück im Norden war Teil einer Landmasse, die sich vom Rheinland bis Südengland erstreckte. Das Meer war bevölkert von Tintenfischen, Ammoniten, Knochenfischen und Haifischen, von Fischsauriern, Plesiosauriern und Krokodilen. Die Landflächen wurden von Dinosauriern beherrscht, allerdings noch nicht von den bekannten Arten Tyrannosaurus, Triceratops und co., die erst 70 bis 80 Millionen Jahre später auftraten. Plesiosaurier und Fischsaurier sind übrigens keine Dinosaurier: es handelt sich um jeweils drei verschiedene ausgestorbene Reptiliengruppen.
Microleidus Melusinae sah aus wie ein kleines Monster von Loch Ness
Sehr langer Hals, kleiner Kopf mit scharfen, schmalen Zähnen, ein gedrungener Leib mit vier paddelähnlichen Flossen, und ein relativ kurzer Schwanz – so sah Microleidus Melusinae aus. Das reusenartige Gebiss und der lange Hals lassen darauf schließen, dass Melusinae räuberisch lebte. Er ernährte sich von kleineren Kopffüßlern und Fischschwärmen, die er wahrscheinlich jagte, indem er den Kopf hin- und herschwenken ließ und die Lebewesen fraß, die sich in seinen kleinen, spitzen Zähnen verfangen hatten.
Die Entdeckung der „wahren Melusina“ verdankt sich einem glücklichen Zufall
Die meisten Fossilien, die das MNHN besitzt, wurden bereits vor vielen Jahrzehnten ausgegraben. Dass ein neues Stück dazu kommt, war nicht abzusehen. Nur durch einen großen Zufall gelangte Melusinae in den Besitz des MNHN – sie hätte ebensogut auf der Müllhalde enden können. Das Fossil lag lange im Keller eines Amateursammlers. Ein ehrenamtlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter des MNHN erkannte nach dessen Tod beim Aufräumen, dass es sich bei dem Fund um etwas Besonderes handeln könnte. „Es war ja nicht in seinem jetzigen Zustand“, erklärt Robert Weis, Paläontologe am MNHN. „Das Skelett war in einer Kalkknolle, man konnte zwar die Umrisse erkennen, aber nur ein Experte sieht darin etwas anderes als ein paar Steine.“
Wie konnten die Experten zeigen, dass es sich um eine neue Art handelt?
Der deutsche Präparator Oliver Kunze schälte in über 200 Arbeitsstunden das Fossil aus dem Kalkstein. Eine undankbare Arbeit: das Präparat war in einem schlechten Zustand, das Gestein, und mit ihm das Fossil, vom Zerfall bedroht. Darüber hinaus war das Skelett auf mehrere Gesteinsknollen verteilt und musste zusammengesetzt werden: „Das war ein richtiges Puzzle“, so Weis. Anschließend begutachtete die Paläontologin Peggy Vincent vom Musée national d’Histoire naturelle in Paris den Fund, vermaß die Skelettteile und interpretierte sie mithilfe des lokalen Wissens der luxemburgischen Paläontologen. „Das hätten wir nicht machen können“, gibt Weis zu, „wir haben keine Experten für Wirbeltiere am MNHN.“
Vincent stellte überdies fest, dass bestimmte Knochen im Schädel von Melusinae auffallend anders geformt sind als bei anderen bekannten Microleidusarten: Microleidus Melusinae musste also eine noch unbekannte Art sein.
Bevor die Ergebnisse publiziert werden konnten, verlangten die Herausgeber des Geological Magazine jedoch mehr Beweise: Neue Analysen mussten durchgeführt werden, v.a. phylogenetischer Art. Die Phylogenetik untersucht die Abstammung und Verwandtschaft zwischen Arten. Hierfür gibt es verschiedene computergestützte Methoden, die auch bei der Bestimmung von Microleidus Melusinae als eigenständiger Art angewendet wurden. Wie z.B. die Darstellung in sogenannten Kladogrammen, aus denen sich Verwandtschaftsverhältnisse, aber auch die Entstehung aus gemeinsamen Vorfahren ablesen lassen.
Der Verlag ließ den Artikel zudem von insgesamt sechs Reviewern gegenlesen. Wissenschaftliche Veröffentlichungen werden üblicherweise von mindestens zwei Experten begutachtet. Das Verfahren heißt „peer review“ und gilt als Merkmal wissenschaftlicher Qualität. Dass gleich sechs Fachleute einen Artikel prüfen, ist außergewöhnlich: „Jeder Spezialist zum Thema hat da einmal drüber geguckt und sein Okay gegeben. Unser Ergebnis ist also bombensicher“, bekräftigt Weis.
Veröffentlichung der Entdeckung befeuert Forschungstätigkeit im MNHN
Das MNHN profitiert von der Publicity des jüngst erschienenen Fachartikels: „Was nicht publiziert ist, existiert nicht in der Forschung“, fasst Weis zusammen, und das gilt auch für die Forschungsstandorte. Durch die Bekanntmachung von Microleidus Melusinae werden nun Paläontologen weltweit auf die Sammlung des MNHN aufmerksam: „Wir haben schon viele Anfragen zur Zusammenarbeit aus aller Welt. Es wird langsam bekannt, dass unsere Sammlungen einzigartig sind.“ Aufgrund der zunehmend hohen Nachfrage werde das MNHN sich in den nächsten Jahren verstärkt auf die Forschung konzentrieren – und sicher noch andere Neuentdeckungen machen.
Autor: Julia Zimmermann
Illustration (c) Joschua Knüppe:
Infobox
Plesiosaurier sind eine Gattung von Meeresreptilien, die zeitgleich mit den Dinosauriern – also Landreptilien – lebten und mit diesen ausgestorben sind. Von der relativ kleinen Gattung, die offenbar nur auf dem Gebiet des heutigen Europa gelebt hat, sind zwei Arten bekannt: der Pliosaurier, der aussieht wie eine Mischung aus Fisch und Krokodil, und die eigentlichen Plesiosaurier, zu denen auch der kleinere Microleidus gehört.
Der Posidonienschiefer ist ein dunkelgrauer bis schwarzer Tonstein, der aufgrund seines Gehalts an Bitumen, eine Vorform von Erdöl, zu den Ölschiefern gezählt wird. Die Bezeichnung „Schiefer“ ist jedoch irreführend: Ölschiefer sind keine Schiefergesteine im herkömmlichen Sinne, denn sie sind nicht in ähnlicher Weise spaltbar.