
Copyright: Adobe Stock
Alle Länder der Welt sind von Armut betroffen, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Armut lässt sich auf verschiedene Weise betrachten, entweder durch Quantifizierung materieller Entbehrungen oder durch Vergleich der Einkommen mit dem Durchschnitt. Hier fassen wir zusammen, was Statistiken und Wissenschaft über Armut in Luxemburg und Europa wissen. Dabei konzentrieren wir uns auf die folgenden Fragen:
1. Was ist Armut?
2. Wie groß ist die Armut in den europäischen Ländern?
3. Wie entwickelt sich die Armut?
4. Wer ist am stärksten betroffen?
5. Wie wirkt sich Armut aus?
6. Was lässt sich tun, um Armut zu reduzieren?
Zusammenfassung
In Luxemburg leben mehr als 125.000 arme Menschen; das entspricht etwa 18 % der Bevölkerung. Diese Zahlen beziehen sich auf eine Definition von Armut, bei der 60 % des verfügbaren medianen Äquivalenzeinkommens, das die tatsächlichen finanziellen Ressourcen misst, als Schwelle gelten. Andere Definitionen messen materielle Entbehrungen (Heizung, Ernährung, Urlaub usw.) oder den subjektiven Eindruck, am Ende des Monats kein Geld mehr übrig zu haben.
Die Armutsquoten sind in Europa ganz unterschiedlich hoch und schwanken zwischen 12 % in Tschechien und 32 % in Rumänien. Diese Zahlen spiegeln die Ungleichheiten auf nationaler Ebene wider, zeichnen aber eine Europakarte, die jener der materiellen Entbehrungen entspricht, die ebenfalls im Südosten des Kontinents am größten und in Mitteleuropa und Skandinavien am wenigsten stark ausgeprägt sind. Die Armutsquoten waren in Luxemburg in der Vergangenheit recht stabil. Armut geht mit einer Chancenminderung einher: soziale Ausgrenzung, körperliche und geistige Gesundheit, schulischer Erfolg von Kindern. Sie ist häufig Teil eines Teufelskreises, da sie durch ihre eigenen Nebenwirkungen noch verstärkt wird.
Armutsexperten empfehlen, vor allem auf zwei Ebenen tätig zu werden: direkte Unterstützung der Betroffenen durch Sozialleistungen und indirekte Unterstützung durch Hilfe bei der Arbeitssuche oder in der Schule.
1. Was ist Armut?
Armut hat ebenso viele Definitionen wie Gesichter. Sie beschreibt Situationen, in denen die materiellen Ressourcen – Besitz und Geld – nicht ausreichen, um „ein menschenwürdiges Leben“ zu führen. Die Weltbank versteht unter Armut einen „ausgeprägten Mangel an Wohlstand“, wobei Wohlstand dem Ökonomen Amartya Sen zufolge aus der Fähigkeit erwächst, in der Gesellschaft zu funktionieren. Allgemein gesprochen fehlt es von Armut Betroffenen an bestimmten notwendigen Ressourcen in den Bereichen Finanzen, Gesundheit oder Bildung, um am Gemeinschaftsleben teilhaben zu können. In diesem Sinne handelt es sich nicht nur um eine finanzielle Frage, sondern vielmehr um ein mehrdimensionales Phänomen.
Absolute Armut
Die bekannteste Dimension ist die der finanziellen Ressourcen: Ein Mensch gilt als arm (oder von Armut bedroht), wenn sein Einkommen eine gewisse Schwelle unterschreitet. Zunächst kann eine absolute Schwelle festgelegt werden.
Die Weltbank stufte 2008 ein Einkommen von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag (37 Dollar pro Monat) unabhängig vom Land als extreme Armut ein. 2017 wurde der Grenzwert auf 2,15 US-Dollar pro Tag (65 Dollar pro Monat) angehoben. Er spiegelt das Existenzminimum wider, indem die Kosten für die Grundbedürfnisse wie Unterkunft, Nahrung usw. berechnet werden. Es können auch regionale Schwellenwertehttps://openknowledge.worldbank.org/entities/publication/159a4bae-4817-5b0b-9d7f-9ba7b6b666cb festgelegt werden, um Preisunterschiede beispielsweise zwischen Stadt und Land abzubilden. „In Luxemburg denkt man bei extremer Armut in erster Linie an Obdachlosigkeit“, erklärt Philippe Van Kerm, Professor für Ökonomie an der Universität Luxemburg. „Das ist in Luxemburg allerdings ein seltenes Phänomen und betrifft schätzungsweise lediglich etwa 500 Menschen, das heißt 0,1 % der Bevölkerung.“
Ein anderer Ansatz besteht darin, die erlebten Entbehrungen zu bewerten. Die Europäische Union spricht von erheblicher materieller Deprivation, wenn von 13 Kriterien mindestens sieben nicht erfüllt sind. Zu diesen Kriterien gehören beispielsweise die Fähigkeit, die eigene Wohnung angemessen zu heizen, gebrauchte Kleidung zu ersetzen, jeden zweiten Tag Fleisch oder Fisch zu essen oder ungeplante Ausgaben zu tätigen. Ein spezifischer Indikator für Kinder beruht auf 17 Gütern, Dienstleistungen oder Aktivitäten (zwei Paar Schuhe, Feiern, Ersatz für abgenutzte Möbel im Haushalt usw.). Kinder erleiden materielle Entbehrungen, wenn mehr als zwei dieser Kriterien nicht erfüllt sind.
Relative Armut
Die Institutionen betrachten auch eine relative Armutsgrenze, unterhalb der eine Person im Vergleich zur Bevölkerung des Landes als arm gilt.
Armut und Armutsgefährdung
Die Europäische Union spricht statt von „Armut“ eher von „Armutsgefährdung“. Mit dieser Nuance lässt sich unter anderem erfassen, dass die zugrunde gelegten Kriterien Armutserfahrungen nicht gänzlich abbilden, so Philippe Van Kerm, Professor für Ökonomie an der Universität Luxemburg. Im vorliegenden Artikel werden beide Begriffe synonym verwendet.
In den EU-Ländern gilt eine Person, die weniger als 60 % des nationalen Medianeinkommens verdient, als armutsgefährdet (das Medianeinkommen liegt in der Mitte der Einkommensskala: die Hälfte der Bevölkerung verdient weniger, die andere Hälfte mehr). In Luxemburg lag diese Armutsgrenze 2022 bei 2382 Euro pro Monat. 2023 waren davon etwa 120.000 Menschen oder 18,8 % der Bevölkerung betroffen. Diese Definition berücksichtigt nicht das Brutto- oder Nettoeinkommen, sondern das verfügbare Äquivalenzeinkommen, in das auch Steuern, Sozialleistungen oder die Zahl der Haushaltsangehörigen einfließen.
Infobox
Statistiken über Armut und Ungleichheiten betrachten in der Regel das verfügbare Äquivalenzeinkommen, das den Betrag schätzt, der den Menschen tatsächlich für Ausgaben und Sparen zur Verfügung steht. Es wird auf der Grundlage des Nettogehalts (oder der Rente) des Haushalts nach Steuern berechnet, zuzüglich etwaiger Kapitaleinkünfte oder Sozialleistungen für Kinder, bei Arbeitslosigkeit oder niedrigem Einkommen. Anschließend wird es durch die Zahl der im selben Haushalt lebenden „Erwachsenenäquivalente“ geteilt (1 für den ersten Erwachsenen, 0,5 für jede zusätzliche Person über 14 und 0,3 pro Kind), um wirtschaftliche Vorteile durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen (Kühlschrank, Internet usw.) innerhalb eines Haushalts zu berücksichtigen.
Das Statistische Amt der EU, Eurostat, teilt diesen Betrag darüber hinaus noch durch einen Index, der das Preisniveau der einzelnen Länder darstellt (1 im EU-Durchschnitt, 1,5 in Luxemburg, 1,07 in Frankreich, 0,85 in Portugal usw.). So lässt sich abbilden, was man sich mit einem bestimmten Einkommen in der Praxis leisten kann.

Verteilung des verfügbaren Äquivalenzeinkommens pro Erwachsenem (nach Steuern und Sozialleistungen, siehe Infokasten) in Luxemburg 2022. Dieses Einkommen liegt bei der Hälfte der Bevölkerung unter dem Medianeinkommen von 3970 Euro, bei der anderen Hälfte darüber. 60 % des Medianeinkommens – also 2382 Euro – entsprechen der Armutsgrenze. Darunter lagen 18 % der Bevölkerung. Quelle: STATEC
Gefühlte Armut
Eine weitere Definition basiert auf dem Empfinden der Bevölkerung. Man fragt sie beispielsweise, wie sie „über die Runden“ komme. Wird mit „eher schwer“, „schwer“ oder „sehr schwer“ geantwortet, weist dies auf eine subjektiv empfundene Armut hin. Sie betraf 2023 22,4 % der luxemburgischen Haushalte, eine Quote, die relativ nah an der auf dem Medianeinkommen beruhenden liegt. In diesen Haushalten kommt es also häufig vor, dass sie sich eine unvorhergesehene Ausgabe (74 %), eine Woche Urlaub (37 %) oder alle zwei Tage Fleisch oder Fisch (12 %) nicht leisten können.

2023 gaben mehr als 22 % der luxemburgischen Haushalte an, Schwierigkeiten zu haben, über die Runden zu kommen. Quelle
Mehrdimensionale Armut
Die Europäische Union wendet ein mehrdimensionales Kriterium an: Eine Person gilt als „von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht“ (AROPE-Indikator), sobald einer der drei folgenden Fälle auf sie zutrifft:
- Sie verfügt über ein geringes Einkommen (weniger als 60 % des nationalen Medianeinkommens).
- Sie ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen, das heißt, sie ist unfreiwillig nicht in der Lage, sieben von 13 Ausgabenarten zu decken.
- Sie lebt in einem Haushalt mit geringer Erwerbsbeteiligung (die Erwachsenen arbeiten 20 % oder weniger).
In Luxemburg lag die AROPE-Quote 2023 bei 21,4 %. Sie ist damit leicht höher als die Armutsquote, die lediglich das Einkommen berücksichtigt (18,8 %). Die Abweichung von 2,6 % betrifft Menschen, die unter materiellen Entbehrungen oder einer geringen Erwerbsbeteiligung leiden, obwohl ihr Einkommen nicht unter der Armutsgrenze liegt.
Das Nationale Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien (STATEC) verwendet auch eine andere Definition der mehrdimensionalen Armut. Sie berücksichtigt Einkommensarmut (weniger als 60 % des Medianeinkommens), Vermögensarmut (weniger als das Dreifache der Einkommensarmutsgrenze) und Konsumarmut (weniger als 60 % des nationalen Mediankonsums). Rund 35 % der Bevölkerung sind laut dem Bericht 2024 von mindestens einer dieser drei Arten von Armut betroffen – und damit deutlich mehr als der von der EU verwendeten AROPE-Quote zufolge.

Luxemburg misst unterschiedliche Arten von Armut (Einkommensarmut, Vermögensarmut und Konsumarmut), die auch zusammen auftreten und sich gegenseitig verstärken können. Ein Drittel der Bevölkerung ist von mindestens einer dieser Kategorien betroffen, 6,6 % von allen dreien. Quelle
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Armutsquote in Luxemburg für Einkommen 2023 bei 18,8 %, für die mehrdimensionale Arope-Quote der EU bei 22,4 %, für die STATEC-Zahlen bei 35 % und für die gefühlte Armut bei 22,4 % lag. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Quoten ganz anders ausfallen würden, wenn die zugrunde gelegten Kriterien verändert würden.
2. Wie groß ist die Armut in den europäischen Ländern?
Die wirtschaftliche Lage in Europa unterscheidet sich sehr stark von Land zu Land, sowohl was Vermögen und Gehälter als auch, was die Verteilung innerhalb der Bevölkerung und Ungleichheiten angeht.
Relative Armut
Die Einkommensarmutsgrenzen – auf der Grundlage des verfügbaren nationalen Medianeinkommens – zeigen große Unterschiede innerhalb Europas und reichten 2023 von 355 Euro pro Monat in der Türkei bis zu 1739 Euro in Luxemburg. (Anmerkung: Dieser Betrag weicht von der STATEC-Zahl ab, weil er noch durch das luxemburgische Preisniveau von 1,5 im Vergleich zum europäischen Durchschnitt von 1 geteilt wird.) Die niedrigsten Medianeinkommen werden im Süden und Osten des Kontinents erzielt. Eine Person mit einem verfügbaren Einkommen von 1000 Euro gilt also in Belgien als arm, in Kroatien hingegen nicht.

Armutsschwelle nach Ländern 2023, definiert als 60 % des verfügbaren nationalen medianen Äquivalenzeinkommens unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten. Sie sind in der Schweiz und in Österreich ähnlich, wobei der Unterschied bei den Gehältern durch die unterschiedlichen Preisniveaus verringert wird. Quelle
Die Armutsquoten variieren ebenfalls, zwischen 9,8 % in Tschechien und 22,5 % in Estland und Lettland. Mit einer Quote von 18,8 % liegt Luxemburg auf Rang 20 von 30 2023 erfassten Ländern und damit leicht über dem EU-Durchschnitt (16,2 %). Der Südosten Europas und das Baltikum sind am stärksten betroffen, während Skandinavien und Mitteleuropa die niedrigsten Armutsquoten aufweisen. Die europäische Armutskarte unten weist Ähnlichkeiten mit der Ungleichheitskarte auf. Beide Phänomene sind eng miteinander verbunden.

Einkommensarmutsquote (60 % des Medianeinkommens) nach Ländern 2023. Quelle
Mehrdimensionale Armut
Diese geografische Verteilung der Armut in Europa spiegelt sich in den mehrdimensionalen Kriterien der AROPE-Definition wider, die Einkommen, materielle Entbehrungen und geringe Erwerbsbeteiligung umfasst. Die Quoten reichen von 12 % in Tschechien bis zu 32 % in Rumänien, wobei Luxemburg mit 21,4 % den 21. Platz unter 30 Ländern belegt.

Mehrdimensionale Armutsquote (AROPE) 2023. Quelle
Absolute Armut
Noch größer sind die Unterschiede bei der erheblichen materiellen Entbehrung. Südosteuropa ist mit 13,5 % in Griechenland oder 19,8 % in Rumänien stark betroffen. Luxemburg hat eine der niedrigsten Quoten (2,5 %), die wiederum deutlich unter der einkommensbezogenen Armutsquote (18,8 %) liegt. Dieser große Unterschied verdeutlicht die unterschiedlichen Arten der Konzeptualisierung und Quantifizierung von Armut.
In Luxemburg sind 5,7 % der Bevölkerung von nicht erheblicher materieller Entbehrung betroffen, das heißt von mindestens fünf von 13 materiellen Entbehrungen (gegenüber sieben von 13 bei erheblicher materieller Entbehrung).

Anteil der von mindestens sieben von 13 materiellen Entbehrungen betroffenen Bevölkerung. Quelle
Gefühlte Armut
Die gefühlte oder subjektive Armut wird von der EU definiert als das Gefühl, „schwer“ oder „sehr schwer“ über die Runden zu kommen (ohne die Antwort „eher schwer“, die in der Befragung vom STATEC in Luxemburg möglich war). Die Unterschiede zwischen den Ländern sind beträchtlich und reichen von 6,2 % in Luxemburg über 33,3 % in der Türkei bis zu 67 % in Griechenland. Dies deutet darauf hin, dass die Armutsgrenze in einigen Ländern so niedrig liegt, dass es selbst dann noch schwierig ist, „über die Runden zu kommen“, wenn man darüber liegt.

Gefühlte Armut 2023, definiert als die Aussage, Schwierigkeiten zu haben, über die Runden zu kommen. Es gibt große Unterschiede zwischen reichen Ländern (Luxemburg, Niederlande) und Ländern mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage (Bulgarien, Türkei, Griechenland). Quelle
3. Wie entwickelt sich die Armut?
Der Anteil der Personen, die von mehrdimensionaler Armut (Arope) betroffen sind, ist in Luxemburg zwischen 2015 und 2023 von 18,4 auf 21,4 % gestiegen. Auch bei der gefühlten Armut war ein Anstieg von 20,7 auf 22,4 % zu verzeichnen.
Die Arope-Quote ist in der Europäischen Union seit 2015 im Durchschnitt um 2,7 Prozentpunkte gesunken, wobei der Rückgang im Osten des Kontinents am stärksten war. Im Großherzogtum und in seinen Nachbarländern waren zwischen 2015 und 2023 Veränderungen von einigen Prozentpunkten zu beobachten. Diese sind jedoch nicht unbedingt von den jährlichen Schwankungen zu unterscheiden, die sich aus den Stichproben der Befragten ergeben, so Philippe Van Kerm.

AROPE-Armutsquote, das heißt Einkommensarmut, materielle Entbehrung oder niedrige Erwerbsquote. Diese Quote ist in Luxemburg um drei, in Frankreich um zwei und in Deutschland um 1,3 Prozentpunkte gestiegen; in Belgien ist sie um drei Prozentpunkte zurückgegangen. In den 27 EU-Mitgliedstaaten ist die Armut um 2,7 Prozentpunkte (das heißt 11 %) gesunken. Quelle
Auch auf der individuellen Ebene ist Armut kein statisches Phänomen. In Luxemburg war die Hälfte der Menschen, die 2022 als einkommensarm galten, es ein Jahr später nicht mehr. Umgekehrt sind 5 % der Personen, die 2022 nicht als arm galten, 2023 unter die Armutsgrenze gefallen, so dass der Gesamtanteil der von Armut Betroffenen von 17,4 auf 18,8 % anstieg.
Von den 17,4 % armen Menschen in Luxemburg 2022 war fast die Hälfte (7,7 %) von sogenannter dauerhafter Armut betroffen: Sie war dem STATEC-Bericht zufolge sowohl zum Erhebungszeitraum (2022) als auch in mindestens zwei der drei vorangegangenen Jahre (2019, 2020 oder 2021) arm.
„Diese Zahlen sind immer mit Vorsicht zu interpretieren“, erklärt Philippe Van Kerm. „Sie basieren auf kleinen Stichproben der Bevölkerung. Außerdem zeugt der Wechsel von einer Kategorie in eine andere nicht unbedingt von einer grundlegenden Änderung der Lebensbedingungen. Manche Menschen, die an der Armutsgrenze leben, können aufgrund geringer Einkommensschwankungen von einer Kategorie in eine andere wechseln. Armut ist jedoch häufig ein dauerhaftes Phänomen und kann von Generation zu Generation weitergegeben werden.“

Entwicklung der Armut in Luxemburg zwischen 2022 und 2023. Von den 17,4 % der Personen, die 2022 von Armut betroffen waren, hat mehr als die Hälfte (53 %) die Armut überwunden. Im Gegenzug galten 2023 5 % derjenigen, die 2022 nicht von Armut betroffen waren, als arm. Quelle
4. Wer ist am stärksten betroffen?
Arbeitslose besonders stark betroffen
Armut betrifft verschiedene Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Ausmaß. Arbeitslose sind stärker betroffen (39,9 % von ihnen waren 2023 arm, gegenüber 18,8 % auf nationaler Ebene). Personen mit luxemburgischer Staatsangehörigkeit sind weniger betroffen (11,8 %), während Personen mit portugiesischer Staatsangehörigkeit mit 42 % überrepräsentiert sind. Menschen mit niedrigem Bildungsniveau (28,5 %) sind dreimal häufiger betroffen als Personen mit hohem Bildungsniveau (9,0 %), Frauen (20,5 %) häufiger als Männer (17,3 %).
Personen über 65 leben weniger häufig in Armut (10,5 % im Jahr 2023). Allerdings leiden sie stärker, da ihr Einkommen unter dem Durchschnitt der von Armut betroffenen Personen liegt. Die am stärksten betroffene Altersgruppe sind die 18- bis 24-Jährigen, von denen ein Drittel ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze hat, gefolgt von Kindern mit 24 %. Obdachlose oder Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, werden in den Statistiken oft nicht erfasst, obwohl sie am stärksten betroffen sind.
Kinderarmut
Da Kinder über kein eigenes Einkommen verfügen, ist es das Haushaltseinkommen, das darüber entscheidet, ob sie arm sind oder nicht. In Luxemburg leben 24 % der Kinder in Armut. Das ist eine der höchsten Quoten in den EU-Ländern und macht Luxemburg zu einer Ausnahme unter den reichen Staaten. Einer der Gründe dafür ist die sehr hohe Armutsquote (mehr als 43 %) von Alleinerziehenden und Familien mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern (27,4 %). Vertragsgebundene Ausgaben (Miete, Versicherung usw.) belasten den Haushalt stark und machen 60 % der Ausgaben eines Alleinerziehenden mit zwei Kindern aus.
Im Durchschnitt haben 70 % der in einem armen Haushalt in einem OECD-Land aufwachsenden Kinder keinen regelmäßigen Zugang zu Freizeitaktivitäten. In Luxemburg liegt dieser Anteil bei 50 % und ist damit dreimal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung (18 %).
Armut hat langfristige Folgen für Kinder und wirkt sich negativ auf ihre künftige Gesundheit, ihre körperliche, geistige und soziale Entwicklung sowie ihren Bildungsweg aus und behindert so ihre Möglichkeiten, der Armut zu entkommen. So dauert es im Durchschnitt der OECD-Länder mehr als vier Generationen, bis ein Kind, das in einer Familie aufwächst, die zu den ärmsten 10 % gehört, seinen Nachkommen ermöglichen kann, das nationale Durchschnittseinkommen zu erreichen.

Anteil der Kinder (Personen unter 18), die 2023 in Armut lebten (AROPE-Kriterium). Quelle
Mehr zu Kinderarmut in Luxemburg:
5. Wie wirkt sich Armut aus?
Armut wird häufig als Teil eines Teufelskreises angesehen. Eine von Armut betroffene Person hat ein erhöhtes Risiko, in einem gesundheitsschädlichen, verschmutzen Umfeld mit wenig Grünflächen und hoher Kriminalitätsrate zu leben. Dies wirkt sich negativ auf ihre Bildungschancen, ihre Gesundheit und ihre Beschäftigungsmöglichkeiten aus. Die eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten verstärken die Armut und erschweren es, ihr zu entkommen. Eindeutige Kausalzusammenhänge lassen sich jedoch formal nur schwer nachweisen, da in den Studien vor allem Korrelationen beobachtet werden.
Gesundheitliche Auswirkungen
Studien haben gezeigt, dass die Lebenserwartung der ärmsten Menschen stark verkürzt ist. In Großbritannien leben Männer, die in den am stärksten benachteiligten Gebieten wohnen, im Schnitt 9,7 Jahre weniger als Männer, die in den am wenigsten benachteiligten Gebieten wohnen. Bei den Frauen liegt der Unterschied einer Studie für den Zeitraum 2018-2020 zufolge bei 7,9 Jahren. In der EU leben Menschen ohne Schulabschluss im Durchschnitt acht Jahre weniger als solche mit einem Hochschulabschluss.
Die Gründe dafür sind vielfältig: beschränkter Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, Behandlungskosten, dauerhafte Exposition gegenüber Umweltrisiken (wie Trinkwasser in einkommensschwachen Ländern oder Zugang zu Grünflächen in reichen Ländern) oder auch eine qualitativ minderwertige Ernährung.
Armut verursacht Stress, dessen Hormone (wie Kortisol) die Gehirnentwicklung hemmen können, was sich kognitiv, emotional und sozial auswirkt. Chronischer Stress kann darüber hinaus zu Erschöpfungszuständen und einem Gefühl der Hilflosigkeit führen. Armut erhöht das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Schizophrenie. In den Ländern der OECD ist das Risiko, psychisch zu erkranken, für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen um das Dreifache erhöht.
Auch die Ernährung ist Teil dieses Teufelskreises: Wer eine körperlich anstrengende, schlecht bezahlte Arbeit in großer Entfernung von seinem Wohnort ausübt, verfügt weder über das Geld für qualitativ hochwertige Produkte noch über die Zeit, sie zuzubereiten. Eine solche Person entscheidet sich eher für verarbeitete Produkte, die in der Regel einen geringeren Nährwert aufweisen. Die Auswirkungen einer schlechten Ernährung sind dann bei der Gesundheit oder der Arbeit zu spüren und verhindern den sozialen Aufstieg. Kinder aus solchen Familien haben in der Schule Konzentrationsschwierigkeiten und verlassen sie durchschnittlich früher.
Auswirkungen auf Bildung
Kinder, die in Armut aufwachsen, werden häufiger in benachteiligten Schulen mit weniger Mitteln oder schwierigeren Klassen unterrichtet. Sie kommen weniger häufig in den Genuss von schulischer Unterstützung zu Hause und einem optimalen frühkindlichen Umfeld. Auch weitere Faktoren wie die Ernährung oder das Gefühl, nicht dieselben Chancen zu haben wie andere, können sich negativ auf ihren Bildungsweg auswirken.
In Luxemburg hängt der Bildungserfolg sehr viel stärker als in anderen OECD-Ländern vom sozioökonomischen Hintergrund der Eltern ab. Luxemburg ist das OECD-Land mit dem größten Unterschied zwischen der Lesekompetenz der sozioökonomisch am stärksten begünstigten (537 Punkte) und der am stärksten benachteiligten Schüler (415) in der PISA-Studie. Diese Abweichung von 122 Punkten ist um ein Drittel größer als im OECD-Durchschnitt. Etwa 18 % der Abweichung lassen sich auf sozioökonomische Ungleichheiten zurückführen. Im OECD-Durchschnitt sind es nur 12 %. In Mathematik und den Naturwissenschaften ist die Situation vergleichbar.
Auswirkungen auf Kriminalität
Wissenschaftler weisen regelmäßig darauf hin, dass Armut nicht zu Kriminalität führt. Sie stellt nur einen Faktor dar, der von anderen Variablen wie familiären Belastungen, schulischem Versagen, einem bestimmten sozialen Netz oder auch fehlenden Chancen und einem Mangel an Perspektiven beeinflusst wird. In ungleichen Gesellschaften ist die Kriminalitätsrate tendenziell höher, insbesondere dann, wenn sich die Armut auf bestimmte Viertel konzentriert. Menschen, die in Armut leben, haben ein höheres Risiko, Opfer von Kriminalität zu werden.
6. Was lässt sich tun, um Armut zu reduzieren?
Die Vorschläge der Politik zur Reduzierung von Armut sind vielfältig: Steuererhöhungen für Unternehmen und hohe Einkommen und Umverteilung zur Unterstützung benachteiligter Menschen oder umgekehrt Steuersenkungen zur Förderung von Unternehmensgründungen und Erhöhung der Kaufkraft. Philippe Van Kerm zufolge empfehlen Armutsexperten, an zwei Punkten anzusetzen. Erstens sollten die Einkommen der Ärmsten durch direkte Hilfen (Wohngeld, Gutscheine für Kinderbetreuung usw.) gestützt werden, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Zweitens sollte es gezielte Unterstützung (bei der Arbeits- oder Wohnungssuche, in der Ausbildung, für Schüler mit Lernschwierigkeiten) geben, um die Ursachen der Armut anzugehen.
Ein wichtiger Hebel ist die Kinderarmut, die sehr langfristige Auswirkungen hat. Darauf verweist der Wirtschaftswissenschaftler James Heckman, der vorrechnet, dass frühzeitige Investitionen in die Bildung benachteiligter Kinder, insbesondere vor Beginn der Pflichtschulzeit, sehr gewinnbringend sind. So berechnete der Forscher für ein Programm, das benachteiligte Grundschüler in den USA unterstützt, eine Jahresrendite in Höhe von 7 bis 10 %. Jeder investierte Dollar bringe der Gesellschaft langfristig zwischen sieben und zwölf Dollar zurück, wobei sich die Gewinne aus vermiedener Kriminalität, geringerer Inanspruchnahme von Sozialhilfe und höheren Einkommen ergäben.
In Luxemburg stellen die hohen Mietpreise ein Problem dar. Die hohe Armutsquote unter Alleinerziehenden legt nahe, dass Handlungsbedarf besteht und beispielsweise geprüft werden muss, ob die Unterstützung für diese Bevölkerungsgruppe ausreichend ist. Die bestehenden Instrumente sind durchaus wirksam: Der Gutschein für Kinderbetreuung (Chèque-service Accueil), der es ermöglicht, seine Kinder in professionellen Einrichtungen betreuen zu lassen, senkt das Armutsrisiko bei Kindern um durchschnittlich vier Prozentpunkte und bei Familien um fünf bis neun Prozentpunkte.
Ermutigung zur Beantragung von Unterstützung
Ein Problem der Armutsbekämpfung besteht darin, dass Menschen, die Anspruch auf staatliche Unterstützung haben, diese oftmals nicht beantragen. So nehmen 21 % der Menschen in Finnland, die Anspruch auf das Mindesteinkommen hätten, dieses nicht in Anspruch. In Spanien sind es 57 %. In Luxemburg beantragen drei Viertel aller Mietzuschussberechtigten diese Leistung nicht. Vier von zehn Personen, welche die Teuerungszulage (AVC) in Anspruch nehmen könnten, verzichten darauf.
Der Armutsexperte Olivier de Schutter sieht die Gründe dafür in fehlenden Informationen, Scham und Unbehagen, die durch den Diskurs über Armut verstärkt werden, der Furcht vor administrativen Schwierigkeiten (Ausweisung bei illegalem Aufenthalt oder Verlust des Sorgerechts für die Kinder) sowie Verwaltungshürden und Fehlern bei der Antragsbearbeitung.
Diese geringe Inanspruchnahme bestehender Leistungen eröffnet Handlungsspielraum, denn um die Beantragung zu steigern, bräuchte es, im Gegensatz zur Schaffung neuer Unterstützungsmechanismen, nicht unbedingt große finanzielle Mittel und die Überwindung politischer Divergenzen. Ein Bericht aus dem Jahr 2024 gibt die folgenden Handlungsempfehlungen: Verbesserung des Zugangs zu Informationen, Vereinfachung administrativer Abläufe, Optimierung der Reaktion der Verwaltung und Neubewertung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen.
Autor: Daniel Saraga
Redaktion: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Wissenschaftliche Beratung: Philippe Van Kerm (Universität Luxemburg) und Guillaume Osier (STATEC)
Übersetzung: Nadia Taouil (t9n.lu)
Infobox
Attacking Poverty; World Development Report, World Bank, OUP (2001)
Commodities and Capabilities, Amartya Sen, OUP (1999)
The Sustainable Development Goals Report 2023: Special Edition, United Nations (2023)
Measuring poverty, World Bank (2024)
Handbook on Poverty and Inequality, J. Haughton and S.R. Khandker, World Bank (2009)
Eurostat, Glossary: Severe material and social deprivation rate
Eurostat, Glossary: Child deprivation
Eurostat, Glossary: At risk of poverty or social exclusion (AROPE)
Eurostat, Persons at risk of poverty or social exclusion by age and sex [ilc_peps01n]
Eurostat, At-risk-of-poverty threshold - EU-SILC survey [tessi014]
Les inégalités sont-elles en augmentation au Luxembourg, science.lu (2024)
Eurostat, At-risk-of-poverty rate [tespm010]
Eurostat, Severe material and social deprivation rate by age and sex [ilc_mdsd11]
Eurostat, Subjective poverty by sex and age [ilc_sbjp01]
Changing the Odds for Vulnerable Children: Building Opportunities and Resilience, OECD (2019)
A Broken Social Elevator? How to Promote Social Mobility, OECD (2018)
Persons at risk of poverty or social exclusion by age and sex [ilc_peps01n__custom_13976024]
Poverty Does Make Us Sick, N. Habibov et al., Annals of Global Health 85: 33, 1–12 (2019)
Impact of Poverty on Crime, C. Webster, Project Report, Joseph Rowntree Foundation, York 2014)