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Auch wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist, so ist sie dennoch sehr aussagekräftig. Mehr als 5600 Fragebögen wurden auf science.lu ausgefüllt. Für Ardashel Latsuzbaia ist das ein beeindruckendes Ergebnis. Der Forscher am Laboratoire national de santé (LNS) hat mit Kollegen im Rahmen einer Umfrage untersucht, welchen Einfluss der durch Covid-19 bedingte Lockdown in Luxemburg auf die sozialen Kontakte hat.
Im Schnitt rund drei soziale Kontakte pro Tag (vs 17,5 ohne Lockdown)
Die Teilnehmer dieser Studie wurden befragt, wie viele persönliche Kontakte (Mitglieder des Haushalts nicht mitgezählt) sie außerhalb ihres Hauses innerhalb der vergangenen 24 Stunden hatten und wo diese stattfanden. Als persönlicher Kontakt definiert wurde dabei ein Gespräch mit mehr als drei Worten bei einem Abstand von weniger als zwei Metern.
Durchgeführt wurde diese Umfrage im Zeitraum vom 25. März bis zum 1. Mai. Und wie die Auswertung der Ergebnisse zeigt, gab es insgesamt mehr als 18000 Kontakte. Im Schnitt hat also jeder Teilnehmer täglich 3,2 soziale Kontakte gehabt. Wie gering dieser Wert ist, wird deutlich, wenn man ihn in Relation zu den Ergebnissen einer Erhebung aus dem Jahr 2008 setzt. Damals, also weit vor der Pandemie, lag der in Luxemburg ermittelte Durchschnittswert bei 17,5 sozialen Kontakten. Infolge der Corona-Restriktionen ist dieser Wert also um fast 82 Prozent gesunken!
Ältere Menschen haben weniger Kontakte als junge
Für Latsuzbaia ist das zunächst einmal ein Beleg dafür, dass die Bevölkerung den Ernst der Lage erkannt hat und die staatlich verordnete Kontaktsperre auch akzeptiert. Darüber hinaus scheinen Personen, die älter als 55 Jahre sind, insgesamt weniger soziale Kontakte zu haben als junge Menschen. „Das deutet darauf hin, dass es den lokalen Behörden gelungen ist, das Bewusstsein in gefährdeten Gruppen zu schärfen, da das Risiko von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen mit zunehmendem Alter zunimmt“, erklärt der LNS-Forscher.
Was die Umfrage außerdem zeigt, ist eine allgemeine Zunahme der sozialen Kontakte seit dem 25. März. Während es in der ersten der insgesamt vier Befragungswellen auf science.lu im Schnitt 2,9 Kontakte waren, stieg dieser Wert zum Ende auf 3,6. Dass die Zahl der Covid-19-Fälle dennoch gering blieb, wertet Latsuzbaia als Indiz dafür, dass die Epidemie in Luxemburg unter Kontrolle ist.
Erhebung fortführen, um Veränderungen durch Lockerung der Restriktionen zu erfassen
„Wie wir in vielen europäischen Ländern gesehen haben, kann es bis zu einem Monat und manchmal auch länger dauern, bis die Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen auf die Übertragung von COVID-19 beobachtet werden können“, sagt er. In Luxemburg habe sich die Übertragung bereits innerhalb von zwei Wochen reduziert, was an der raschen Umsetzung des Lockdowns gelegen habe. Die politischen Entscheidungsträger hätten hervorragend reagiert, so der Wissenschaftler.
Nach Auffassung von Latsuzbaia ist es nun wichtig, diese Erhebung in detaillierter Form fortzuführen, um die Veränderungen durch die Aufhebung von Einschränkungen zu erfassen. Das helfe dabei, Vorhersagen über die Virusübertragung zu treffen und die politisch Verantwortlichen bei der Entscheidung über den Zeitpunkt und den Umfang der Maßnahmen und Ausstiegsstrategien zu unterstützen. Und genau das wird in den nächsten Tagen geschehen.
Umfrage-Ergebnisse helfen bei der Ausarbeitung weiterer Vorschläge zur Lockerung
Paul Wilmes, Professor am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Uni Luxemburg und zudem stellvertretender Sprecher der Covid-19 Task Force des Landes, kann das nur bestätigen. „Insgesamt ist die Anzahl der sozialen Interaktionen ausschlaggebend dafür, wie schnell sich das neuartige Corona-Virus verbreitet“, sagt Wilmes. Deshalb sei es wichtig zu verstehen, wie sich die Ausgangssperren und die jetzigen Lockerungen auf die Verbreitung auswirkten. „Hierfür sind Online-Umfragen sehr hilfreich, weil sie uns einen Einblick darüber geben, ob und ab wann soziale Interaktionen zunehmen“, sagt er. Und das wiederum helfe dabei, Modelle zu parametrisieren und Lockerungsvorschläge für die Regierung auszuarbeiten.
Dass so viele Menschen an der Umfrage teilgenommen haben, beeindruckt auch Jean-Paul Bertemes, FNR-Projektverantwortlicher von science.lu und ebenfalls Mitglied der Covid-19 Task Force. „Bislang ließ sich der Shutdown nicht in Modelle integrieren“, sagt er. „Doch dank dieser Umfrage haben wir nun die Möglichkeit, die Auswirkungen des Lockdowns auch quantitativ zu messen“, so Bertemes. Genau wie Wilmes und Latsuzbaia ist er nun gespannt, wie sich die Zahl der sozialen Kontakte nun angesichts der weiteren Corona-Lockerungen entwickeln wird.
Autor: Uwe Hentschel