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Kohlenmonoxid hat einen schlechten Ruf, denn es kann Vergiftungen verursachen, was ihm den Namen „leiser Killer" eingebracht hat. Aber wussten Sie, dass der menschliche Körper auch selbst Kohlenmonoxid produziert und dieses Gas interessante therapeutische Eigenschaften hat?
Der „leise Killer"
Schlecht gewartete Heizkessel, Verbrennung von Holz zu Heizzwecken, Brände, Autoabgase: Kohlenmonoxidvergiftungen können viele Ursachen haben. Das Gas ist seit langem dafür bekannt, dass es schwere Vergiftungen verursacht, die sogar zum Tode führen können, wenn es in sehr hohen Dosen aufgenommen wird. Der Name „leiser Killer" wurde Kohlenmonoxid deswegen verliehen, weil das Gas geruch- und farblos ist und es bei Aufnahme in großen Mengen Benommenheit hervorruft.
Ist Kohlenmonoxid immer gefährlich?
Nein! Es kommt auf die Dosis an. Der menschliche Körper kann Kohlenmonoxid in geringen Mengen selbst produzieren, um Situationen zu bewältigen, in denen physiologischer Stress auftritt. Die Produktion erfolgt durch ein Enzym. Außerdem wirkt Kohlenmonoxid in schwacher Dosierung entzündungs- und oxidationshemmend - es besitzt also therapeutische Eigenschaften.
Heute konzentrieren sich die Forschungsstrategien auf die Wirkungen des biologischen Zweiergespanns Enzym/Gas, denn die erstaunlichen Eigenschaften von Kohlenmonoxid stellen eine einzigartige therapeutische Nische dar, auf die bei der Behandlung schwerer neurodegenerativer und kardiovaskulärer Erkrankungen, zum Beispiel Multiple Sklerose und Herzinsuffizienz, zurückgegriffen werden kann. Die Chancen, eine Genesung mit Hilfe von Kohlenmonoxid herbeizuführen, sind zwar gering. Aber in das aktuelle therapeutische Angebot sollten alle möglichen Optionen aufgenommen werden, auch die unwahrscheinlichsten.
Kommt Kohlenmonoxid als therapeutisches Produkt in Frage?
Kohlenmonoxid hat in experimentellen Modellen entzündungshemmende Eigenschaften gezeigt. Zum Tragen kommen diese durch die Steuerungsfunktion, die es innerhalb des Immunsystems als Reaktion auf Aggressionen wie bakterielle Infektionen oder komplexere Erkrankungen (kardiovaskulärer oder neurologischer Art, Abstoßung von Transplantaten) ausübt. Diese Steuerungsfunktion unterstützt die Genesung entscheidend. Kohlenmonoxid ist auch oxidationshemmend, denn es verringert die Produktion der berüchtigten freien Radikalen, die Zellalterung und Entzündungsprozesse ungünstig beeinflussen.
Die ermutigenden Ergebnisse der Grundlagenforschung haben zu einigen wenigen klinischen Studien geführt, bei denen Patienten, die an chronisch-obstruktiver Bronchopneumopathie leiden oder eine Lebertransplantation hatten, geringe Dosen Kohlenmonoxid einatmeten. Diese klinischen Studien sind jedoch zu marginal und noch nicht abschließend ausgewertet.
Grenzen des Einsatzes von Kohlenmonoxid und Forschungsperspektiven.
Der größte Nachteil der Verwendung von Kohlenmonoxid im klinischen Bereich ist die Art seiner Verabreichung. Es ist nämlich schwierig, einen Patienten davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, ein Gas einzuatmen, das vor allem für seine schädliche Wirkung bekannt ist. Dennoch fasst die Forschung heute alternative Strategien ins Auge, wie die Entwicklung von „Kohlenmonoxidlieferanten". Diese bieten den Vorteil, dass sie in präziser Dosis oral (komprimiert) oder intravenös (in flüssiger Form) verabreicht werden können und ihre therapeutischen Eigenschaften denen des Gases möglicherweise überlegen sind.
Eine andere Strategie beruht auf dem Einsatz von Molekülen, die die Produktion von Kohlenmonoxid durch den Körper selbst anregen können, zum Beispiel das experimentelle Medikament BG-12. Dieses wird zurzeit in einer klinischen Studie zur Behandlung von Multiple Sklerose-Schüben erprobt und hat eine signifikante Abschwächung dieser Schübe bewirkt, hauptsächlich durch Aktivierung entzündungs- und oxidationshemmender Mechanismen.
Eine Pilotstrategie, die gegenwärtig Gegenstand einer Partnerschaft zwischen CRP-Santé und dem INSERM ist, zielt darauf ab, das immense Potential der biologischen Datenbanken zu nutzen, um die therapeutischen Angriffspunkte mehrerer dieser Moleküle zu identifizieren und ihre therapeutischen Eigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten zu verfeinern.
Diese ermutigenden Ergebnisse legen nahe, dass es möglich ist, eine ursprünglich als giftig geltende Substanz zu Behandlungszwecken einzusetzen.
Autor: Benjamin Haas
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Infobox
Geruch- und farbloses Gas, bei hoher Dosis giftig. Die Vergiftungen treten infolge von Funktionsstörungen an Heizanlagen oder der Verbrennung von Schadstoffen auf. Der schädliche Effekt entsteht durch die Anlagerung des Kohlenmonoxids an den Sauerstoffträger Hämoglobin anstatt an Sauerstoff. Dies führt zu Sauerstoffmangel im Blut und in den Organen.
Biokatalysator, der eine biochemische, im menschlichen Körper ablaufende Reaktion bewirkt. Das Enzym Oxygenase ist für die Produktion von Kohlenmonoxid im menschlichen Körper verantwortlich.
Gesamtheit aller Abwehrmechanismen des Organismus gegen Aggressionen.
Aktivierung des Immunsystems, das daraufhin auf eine Aggression reagiert und den Genesungsprozess initiiert.
Rekrutierung von Patienten und/oder freiwilligen gesunden Personen zu dem Zweck, ein Medikament im Hinblick auf einen zukünftigen therapeutischen Einsatz zur Behandlung einer bestimmten Erkrankung zu testen.
Erkrankung, unter der insbesondere Raucher leiden. Sie führt zur Verringerung der Lungenkapazität bei gleichzeitigen anhaltenden Entzündungsreaktionen in den Lungen.
Benjamin HAAS, PhD
INSERM U955 Equipe 03
Labor für Physiopathologie und Pharmakologie der Koronar- und Herzinsuffizienzen
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