(C) CNRA

Dank der gezogenen Zähne hat man nun die Gewissheit: Beim ältesten vollständigen Skelett, das je in Luxembourg gefunden wurde handelt es sich um das Skelett eines Mannes.

Um herauszufinden, was Sache ist, war ein chirurgischer Eingriff notwendig. Zwei Backenzähne wurden gezogen. Doch der Patient, dem sie gehörten, kann damit leben. Wobei genau genommen kann er das natürlich nicht mehr. Denn er ist bereits vor 8000 Jahren gestorben.

"Ältester Luxemburger" von "ältester Luxemburgerin" abgelöst

1935 wurde im Müllerthal das vollständige Skelett eines Menschen entdeckt, der aufgrund des genauen Fundorts der Loschbour-Mensch genannt wird. Vor rund 8000 Jahren soll dieser gelebt haben und es sind bis heute die ältesten komplett erhaltenen sterblichen Überreste eines Menschen, die im Großherzogtum je zum Vorschein kamen. Einige Jahre nach diesem außergewöhnlichen Fund, wurden am gleichen Standort die Überreste einer Frau gefunden. Im Gegensatz zum Loschbour-Mann, welcher an besagter Stelle bestattet wurde, erhielt die Loschbour-Frau eine Feuerbestattung. Dies erklärt warum nur noch wenige Reste des Skelettes aufgefunden wurden. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Loschbour-Frau 1000 Jahre vor dem Loschbour-Mann hier bestattet worden war. Die Loschbour-Frau wäre also vor 9000 Jahren verstorben, und gilt also bis Dato als der älteste bekannte "luxemburger Mensch".  

Dass der Loschbour-Mann vor 8000 Jahren gelebt haben muss, weiß man bereits seit vielen Jahren. Was lange Zeit allerdings nur vermutet wurde, war sein Geschlecht. Doch Dank der gezogenen Zähne hat man nun die Gewissheit: Es ist das Skelett eines Mannes.

Original Fotos der Ausgrabungen im Jahre 1935. (C) MNHN

Das Skelett des Loschbour-Mannes ist im Nationalmuseum für Naturgeschichte ausgestellt. Nur der Schädel wurde ersetzt. Der ursprüngliche Schädel, der wahrscheinlich noch Spuren von DNA enthält, welche später eventuell noch für weitere Analysen genutzt werden können, wird sicher in einem Safe aufbewahrt.

(C) MNHN

Komplette DNA entschlüsselt

So konnte mit Hilfe der zwei Backenzähne, die trotz des Alters in einem erstaunlich guten Zustand waren, die komplette DNA des 8000 Jahre alten Funds entschlüsselt werden. Auf Grundlage der daraus gewonnen Daten war es schließlich möglich, eine 3D-Rekonstruktion zu erstellen.

Die Entschlüsselung der DNA war dank der jüngsten Fortschritte in der Genetik, der Vervielfachung von Datenbanken auf planetarischem Maßstab und der Verringerung der Analysekosten für die DNA-Sequenzierung möglich.

Größe, Gewicht, Alter und Farbe der Augen

Nach 7 Jahren Paläo-anthropologischer Forschung, konnte also durch DNA-Sequenzierung gezeigt werden, dass der Loschbour Mann 1,60 Meter mieß und etwa 60 kilos wog. Zum Zeitpunkt seines Todes war er zwischen 34 und 47 Jahre alt. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, hatte er eine eher dunkelere Hautpigmentierung (dark skin: 97%), dunkles Haar (brown or black hair: 99%) und wahrscheinlich blaue Augen (blue eyes: 53%). Außerdem hatte er im Gegensatz zu 90% der heutigen Europäer eine Laktoseintoleranz.

Das virtuelle Gesicht des Loschbour-Mannes konnte durch einen Schädels-Scan modeliert werden. Die Weichteile wurden dann mit einer speziellen Software zur morphologischen Gesichtsrekonstruktion wieder hergestellt. Die Resultate der DNA Analyse machten es dann möglich die Färbung der Haut, Haare und Augen anzupassen. 

Folgendes Video veranschaulicht unter anderem, welche Informationen aus welchen Teilen des Skelettes gewonnen werden konnten: 

(C) MNHA - CRNA & Anubis Pictures

Das virtuelle 3D-Modell wurde in Naturgröße rekonstruiert und auf einem roten Sofa in der Eingangshalle des Nationalmuseums für Naturgeschichte positioniert, um die Besucher des Museums willkommen zu heißen.

(C) MNHN

Für die Forscher des Centre National de Recherche Archéologique (CNRA) und des Musée national d’histoire naturelle (MNHN) sind Aussehen, Geschlecht und Alter aber nicht die einzigen Erkenntnisse, die aus dem Zahnschmelz gewonnen werden konnten.

Verbindung zu den indigenen Völkern Amerikas

Die luxemburgischen Wissenschaftler waren auch an einer internationalen Studie beteiligt, bei der es darum ging, die Herkunft der Europäer zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurde das Erbgut von insgesamt neun Skeletten untersucht und mit der DNA von 2345 heute lebenden Menschen verglichen. Und neben Jägern und Sammlern sowie einer vor 7000 Jahren gestorbenen Bäuerin aus Deutschland war in dieser Erbgut-Gemeinschaft auch der Loschbour-Mann.

Die Studie, deren Ergebnisse nun veröffentlicht wurden, kommt zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Europäer nicht nur Spuren von zwei, sondern von drei Populationen aufweist.  Neben den ersten europäischen Bauern und bereits bekannten Jägern und Sammlern aus Westeuropa gibt es auch Nachweise einer Population aus dem Norden Eurasiens. Und die wiederum haben eine Verbindung zu den Ureinwohnern Amerikas. Möglicherweise, so eine Vermutung der Forscher, ist diese dritte Gruppe vor gut 4000 Jahren nach Mitteleuropa gekommen.

DNA Analyse statt Spekulationen

So wird die Ansiedlung der alten Welt durch DNA-Forschung an alten Populationen detailliert dargestellt. In diesen neuen Szenarien treibt der mesolithische Mann von Loschbour die Wissenschaft fast 80 Jahre nach seiner Entdeckung am Ufer des Schwarzen Ernz im Oktober 1935 weiter voran. Zur größten Zufriedenheit von Anthropologen und Archäologen ermöglicht es die DNA, das zu verwirklichen, was bis vor einigen Jahren nur durch Spekulationen möglich gewesen wäre. Diese Untersuchungen sind ein hervorragendes Beispiel für die Bedeutung der multidisziplinären und interinstitutionellen Forschung, die Bündelung von Know-how und Mitteln, um die Grenzen des Wissens hinauszuschieben.

Autor: Uwe Hentschel & MNHN
Edition: Michelle Schaltz (FNR)

Foto: F. Le Brun et N. Herber, Anubis © CNRA, Luxembourg & MNHN
Video: MNHA - CRNA & Anubis Pictures

Infobox

Neue Siedlungsszenarien Westeuropas

Um die Besiedlung zu erklären schlagen Lazaridis und seine Wissenschaftskollegen als neue Arbeitshypothese drei Hauptphasen des Genflusses vor. Ein lokaler Stamm von westlichen Jägern und Sammlern (WHG: West Hunter Gatherer), dann die allmähliche Ankunft von Farmer-Breeder Groups (EEFs) aus dem Nahen Osten ab 5500 Jahren vor unserer Ära, und vielleicht im 2. Jahrtausend v. Chr. die Ankunft einer unbestimmten Bevölkerung (ANE: Ancient North Eurasian).

In diesem Stadium der Forschung, welcher die Szenarien und Arbeitshypothese der Archäologen und Paläoanthropologen revolutioniert, ist es interessant zu beobachten, dass der jüngste Fund eines Mesolithikum Jägers, welcher in einer Höhle im Nordwesten von Spanien (La Brana 1; Provinz Leon) gefunden wurde (Nature, Januar 2014), genetisch und morphologisch dem Loschbour Menschen sehr ähnelt. Heute, finden sich die Nachkommen dieser Menschen (gleichen ethnischen Gruppe (Haplotyp U5b1a) auf dem Balkan und in Nordeuropa in Skandinavien, vor allem bei den Saami, den Finnen und den Esten wieder. Dieser U5-Stamm der Gruppe wäre zwischen 50.000 und 20.000 Jahren aufgetreten, wie aus dem Genom hervorgeht, das an dem bei Ma'lta in Sibirien entdeckten paläolithischen Individuum bestimmt wurde.

Auch interessant

Genetik Kënnen DNA-Tester eis soen, wou mir hierkommen?

Kann ee mat engem DNA-Test erausfannen, wou seng Vireltere gewunnt hunn?

FNR
Repräsentative FNR-Umfrage Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft weiter gestiegen

Wie bewerten die Luxemburger die Rolle der Wissenschaft in der Covid-Pandemie? Wie hoch ist das Interesse an der Wissens...

FNR
Interaktive Konferenz Wie kann man als Bürger seine Umweltbelastung reduzieren?

Am 17. November 2020 findet die nächste interaktive Konferenz „So you think you’re green” statt (online). Diese konzentr...

FNR

Auch in dieser Rubrik

SCIENCE CHECK Ziel mir keng: Wie schlimm sind Antibiotikaresistenzen?

Es gibt weltweit immer mehr Bakterien, die resistent gegen Antibiotika sind. Wieso entstehen Resistenzen? Wie ist die Situation in Luxemburg? Und wird es bald neue Behandlungen für uns geben?

FNR
Science-Check Sind Antibiotikaresistenzen in Luxemburg unter Kontrolle?

Der übermäßige Gebrauch von Antibiotika hat zu einer besorgniserregenden Zunahme resistenter Bakterien geführt. Haben die Forderungen nach einem besseren Umgang mit diesen Medikamenten Gehör gefunden...

FNR
Kommunikationsgeschichte Vorsicht, Fake News!

„Fake News“ sind kein neues Phänomen, doch vor den US-Wahlen haben sie Hochkonjunktur. Was macht sie so gefährlich? Ein Rückblick auf die Geschichte der Falschmeldung - und ein kritischer Ausblick.