Pressekonferenz nationale Forschungsstrategie

MESR

Minister Claude Meisch bei der Pressekonferenz, neben (v.l.n.nr.) Christiane Huberty, MESR ; Léon Diederich, MESR ; Romain Martin, MESR ; Robert Kerger, MESR.

  • Forschung und Innovation sollen bis 2030 wesentlich dazu beitragen, die Vision der digitalisierten luxemburgischen Wissensgesellschaft zu realisieren
  • Vier Forschungsschwerpunkte wurden mit der Strategie festgelegt: Industrie- und Dienstleistungstransformation, personalisierte Gesundheitsversorgung, Bildung im 21. Jahrhundert, nachhaltige und verantwortungsvolle Entwicklung
  • Die Forschungs- und Innovationsstrategie kann in den nächsten Jahren noch angepasst werden

Heute stellte Claude Meisch, Minister für Hochschulwesen und Forschung, eine Forschungs- und Innovationsstrategie für das Land vor und die damit verbundenen neuen nationalen Forschungsprioritäten. Es ist das erste Mal, dass Luxemburg eine formale nationale Forschungsstrategie ausarbeitet. Die beiden Dokumente definieren, wie das wissenschaftliche Ökosystem Luxemburgs sich in den nächsten 10 Jahren weiter entwickeln soll und in welchen Bereichen hauptsächlich investiert werden soll.

Worum geht es in der Forschungs- und Innovationsstrategie?

Über die letzten 20 Jahre hat sich in Luxemburg ein attraktives und fruchtbares Forschungs- und Innovationsökosystem gebildet, das auch internationale Anerkennung bekommt. Die nationale Strategie und die neu definierten Forschungsprioritäten sollen einen gefestigten Rahmen schaffen, der die luxemburgische Forschung einen weiteren Schritt nach vorne bringt. Dabei wird Forschung als ein wichtiges Element betrachtet, um Lösungen für zukünftige Herausforderungen auszuarbeiten – sowohl für Luxemburg als auch auf globaler Ebene.

Laut dem Strategiedokument strebt Luxemburg an, bis 2030 eine „vielfältige und nachhaltige Wissensgesellschaft“, sowie eine „sichere, digitale Gesellschaft“ zu sein. Die Mission der Forschung und Innovation soll sein, einen wesentlichen Beitrag zu leisten, um die Vision „Luxemburg 2030“ zu realisieren. Dabei soll künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle spielen, und Luxemburg wegen seiner kleinen Gröβe als lebendiges Testlabor optimal genutzt werden.

Die Mission soll durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

  • Koordinierte Governance, Infrastruktur und Politik
  • Forschung als Motor der Innovation in Industrie, Dienstleistungen und im öffentlichen Sektor
  • Wissenschaft in der Gesellschaft verankern

Wie soll die Forschungsstrategie umgesetzt werden?

Zum einen durch mehr öffentliche Gelder für die Forschung. Die luxemburgische Regierung sieht vor, die öffentlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung in den nächsten Jahren auf 1% de BIP zu heben, in Übereinstimmungen mit den Zielen der Strategie Europa 2020 (Die Investitionen lagen 2018 noch unter 0.7%). Dieses Ziel von 1% umfasst die öffentlichen Ausgaben im öffentlichen und privaten Sektor, wobei davon ausgegangen wird, dass die Ausgaben im öffentlichen Sektor voraussichtlich 0,8% des BIP erreichen werden, so das Strategiedokument.

Bis 2021 sollen die öffentlichen Forschungseinrichtungen in Luxemburg 16 Millionen Euro zusätzlich bekommen, sagte Claude Meisch bei der Pressekonferenz. Die einzelnen Forschungseinrichtungen werden weiterhin Mehrjahresverträge mit der Regierung abschliessen, in denen Leistungsindikatoren definiert werden. Diese sollen die Mission der Forschungs- und Innovationsstrategie wiederspiegeln, heiβt es weiter im Strategiedokument. 

Des weiteren soll die Strategie durch gezielte Finanzierungsinstrumente des Fonds National de la Recherche (FNR) rund um vier Forschungsschwerpunkte umgesetzt werden, die neu definiert wurden.

Welche Forschungsprioritäten wurden festgelegt?

„Auf höchster Ebene definiert die nationale Forschungs- und Innovationsstrategie vier vorrangige Forschungsbereiche, die sich als besonders wichtig für die gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes herausgestellt haben“, steht im Strategiedokument.

nationale Forschungsprioritäten

„In Zukunft sollen Forschungsfragen von einer gesellschaftlichen Herausforderung ausgehend definiert werden – wie, das müssen die Forscher in ihren Förderanträgen beschreiben“, sagt Marc Schiltz, Generalsekretär des Fonds National de la Recherche.

Ebenfalls im Strategiedokument: „Die einzelnen Bereiche werden nicht als voneinander getrennt und unabhängig betrachtet, sondern als Bereiche, die sich gegenseitig beeinflussen, sodass die Unterthemen, die jeden Bereich definieren, auch Auswirkungen auf andere Bereiche haben können.  Die Forschungsstrategie legt somit einen Schwerpunkt auf interdisziplinäre Projekte, bei denen berücksichtigt wird, dass jeder der vier allgemeinen Forschungsschwerpunkte von Ergebnissen und Projekten in einem oder mehreren der anderen Bereiche profitiert. Die vier ausgewählten Forschungsschwerpunkte sollten dazu beitragen, dass Luxemburg sich über seinen BIP hinaus kontinuierlich und nachhaltig entwickelt und es der Bevölkerung dabei gut geht, insbesondere was Gesundheits-, Umwelt- und Bildungsaspekte betrifft.“

Was sind konkrete Beispiele innerhalb der Prioritätsbereiche?

Innerhalb jedes Prioritätsbereiches gibt es weitere Fokuspunkte.  Hier ein paar Beispiele:

Industrielle und Dienstleistungstransformation

Datenmodellierung und -simulation gelten als Schlüsseltechnologien in diesem vorrangigen Forschungsbereich. Diese umfassen auch neue IT- und Kommunikationssysteme mit damit verbundenen Herausforderungen im Bereich der Cyber Security, die für eine datengetriebene Wirtschaft unerlässlich sind, aber auch die Privatsphäre in einer zunehmend vernetzten Welt schützen.

Personalisierte Gesundheitsversorgung

Laut dem Strategiedokument strebt Luxemburg an, insbesondere "im Bereich der personalisierten digitalen Medizin eines der Pionierländer auf globaler Ebene zu sein".

Initiativen im Gesundheitsbereich werden sich jedoch nicht auf eine rein biologische oder medizinische Perspektive beschränken, sondern auch sozioökonomische und Verhaltensaspekte umfassen. Solche Aspekte sollen in sogenannten longitudinalen Studien über ein Leben hinweg analysiert werden, um so neue Möglichkeiten zu erschliessen Krankheiten vorzubeugen und Verhalten zu ändern.

Nachhaltige und verantwortungsvolle Entwicklung

In punkto nachhaltige Entwicklung soll die Forschung dazu beitragen, dass dies sowohl auf ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene geschieht.  Etwa durch Projekte in den Bereichen nachhaltiges Bauwesen und Energieeffizienz oder grüne Finanzen und Kreislaufwirtschaft.

Dann soll es Forschung zu verschiedenen Aspekten des sozialen Zusammenhalts geben, wie z.B. den sozialen Folgen der Migration und der Entwicklung der Energiewende und des Arbeitsmarktes, aber auch zu Fragen der kulturellen Identität, des kulturellen Erbes und der nationalen Zugehörigkeit.

In punkto verantwortungsvolle Entwicklung soll ein Fokus „Vorschriften und Ethik für eine datengetriebene Gesellschaft“ sein, was vor allem Rechtsforscher herausfordert.

Bildung im 21. Jahrhundert

In der Vergangenheit bedeutete „Lifelong learning“, dass man vorhandenes Wissen aktualisiert. Dieses Modell wird sich in Zukunft zu einem neuen Model umwandeln, bei dem in kurzer Zeit völlig neue Fähigkeiten erworben werden müssen, um sich an grundlegende berufliche Veränderungen anzupassen. Das sind neue Herausforderungen für Bildungswissenschaftler und kommen zu bereits bestehenden hinzu: einer sehr heterogenen und mehrsprachigen Schulbevölkerung eine qualitativ hochwertige Erstausbildung zu bieten, um so verstärkte Ungleichheiten zu vermeiden.

Wieso wurden die nationalen Forschungsprioritäten neu bestimmt?

Das luxemburgische Forschungssystem hat sich in den letzten 20 Jahren intensiv und stetig weiterentwickelt. Derzeit befindet sich das öffentliche Forschungsumfeld in Luxemburg in einer ganz anderen Situation als zu dem Zeitpunkt, als die ersten Forschungsprioritäten in den Jahren 2006–2007 durch den FNR Foresight Exercise festgelegt wurden. Vieles von dem, was damals vorgeschlagen wurde, wurde umgesetzt, und im letzten Jahrzehnt wurden Kapazitäten und Stärken entwickelt. Einige Bereiche entwickelten sich jedoch besser als andere, was eine Überarbeitung der Forschungsprioritäten rechtfertigte.

Als kleines Land kann Luxemburg nicht in allen Forschungsbereichen tätig sein und muss strategische Entscheidungen treffen, um eine kritische Masse zu erreichen und internationale Relevanz zu haben und zu halten.

Wie wurden die neuen Forschungsprioritäten bestimmt?

Gemäß den Empfehlungen der OECD in ihrem Bericht 2016 über das Luxemburger Innovationssystem basieren die überarbeiteten nationalen Forschungsprioritäten auf folgenden Kriterien:

  • Aktuelle Stärken und Identifizierung neuer Bereiche und aufkommender Themen.
  • Relevanz im internationalen Kontext.
  • Relevanz für das Land: gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen.

Marc Schiltz erläutert: „Zunächst haben wir uns gefragt: Worin sind wir gut? In welchen Bereichen sind wir international sichtbar? Diesen Kurs der Exzellenz galt es beizubehalten und auszubauen. Dann haben wir nach vorne geschaut: Was sind die derzeitigen und zukünftigen (wissenschaftlichen) Trends?

Ziel ist es gewesen, einerseits die derzeitigen Stärken zu stärken und gleichzeitig Kapazitäten für aufstrebende Gebiete entwickeln, in denen luxemburgische Forscher einen Vorsprung haben können.

Ebenfalls wichtig ist es, das richtige Gleichgewicht zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung aufrechtzuerhalten, um sich langfristig an aktuelle und zukünftige sozioökonomische Bedürfnisse anpassen zu können. 

Dazu sagt Marc Schiltz: „Wir waren bestrebt, die neuen Prioritäten in eine nationale Strategie einzubetten, die eine Vision verfolgt. Es sollte auf keinen Fall nur eine akademische ‚Übung‘ sein. Schlussendlich machen die neuen Prioritäten einen Schritt weg von disziplinärer Aufteilung zu missionsgetriebenen Themenbereichen. Einige davon existieren bereits, andere müssen entwickelt werden.“

Ist Forschung außerhalb der neuen Prioritäten nicht mehr möglich?

Jede Forschungseinrichtung in Luxemburg erhält ihr eigenes Budget, mit dem sie wie bisher auch Forschung ausserhalb der Prioritäten finanzieren können.

Romain Martin, Premier Conseiller de Gouvernement des Ministeriums für Hochschulwesen und Forschung, kommentiert: “Jede Einrichtung sollte eine eigene Strategie haben und ihr eigenes Budget nutzen, um diese umzusetzen.“ Die individuellen Strategien sollen „den Rahmen der nationalen Forschungs- und Innovationsstrategie berücksichtigen, aber können und sollen auch institutionellen Prioritäten festlegen, die diesen Rahmen sinnvoll erweitern“, heiβt es im Strategiedokument.

Marc Schiltz fügt hinzu: „Der FNR unterstützt weiterhin sogenannte ‚bottom-up‘ Anträge, unter anderem durch unser sogenanntes OPEN-Förderprogramm. Auf der anderen Seite werden wir unsere gezielten Förderprogramme, die auf den Forschungsprioritäten basieren, überwachen und entsprechend reagieren: wenn in bestimmten Themenbereichen keine Projekte eingereicht werden, kann das einerseits bedeuten, dass dort Kapazitäten aufgebaut werden müssen; auf der anderen Seite, kann es aber auch bedeuten, dass der Bereich angepasst oder gar gestrichen werden muss.“ 

Wer hat die neuen Prioritäten und die Strategie ausgearbeitet?

Die neuen nationalen Forschungsprioritäten wurde in einem mehrstufigen Prozess ausgearbeitet, unter aktiver Einbeziehung der nationalen und internationalen Forschungsgemeinschaft, öffentlicher und privater Interessengruppen sowie der Ministerien.

In ihrem derzeitigen Mehrjahresvertrag mit der Regierung wurde der FNR beauftragt, die bestehenden Prioritäten in enger Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Hochschulwesen und Forschung (MESR) zu überprüfen und überarbeiten. Im April 2019 wurde ein erste Version der überarbeiteten Prioritäten vom FNR an das MESR übermittelt.

Die damit verbundene Forschungsstrategie wurde von einem Steering Group ausgearbeitet, der im Juli 2019 aufgesetzt wurde. Dieser besteht aus Ministerien (Forschung und Wirtschaft), der Universität Luxemburg, den 3 öffentlichen Forschungszentren (LIH, LIST, LISER) und dem FNR.

Kann die Forschungsstrategie bei Bedarf angepasst werden?

Die nationale Forschungsstrategie und die neuen Prioritäten wurden am 20. Dezember 2019 vom Regierungsrat angenommen. Das Ministerium sieht die Forschungsstrategie aber nicht als final. Romain Martin kommentiert: „Die Strategie hat 3 Level. Level 1 und 2 sind Regierungsentscheidungen, diese sollen über die kommenden Jahre stabil bleiben. Level 3 hingegen ist der operationelle Teil, und hier gibt es noch Raum zur Anpassung.“

Die Steering Group soll auch in Zukunft funktionieren, zum einem um die nationale Forschungsstrategie auf Level 3 anzupassen, aber auch um z.B. gemeinsame Infrastrukturen wie High-Performance-Computing oder Kommunikations- und Marketingaktivitäten unter dem Label „Research Luxembourg“ zu steuern.

„Im ersten Semester 2020 werden die dritten „Assises nationales de la recherche“ organisiert“ , so Romain Martin. Ausserdem würde man den ersten Aufruf des Förderprogramms CORE des FNR verfolgen, der die neuen Forschungsprioritäten bereits anwendet. „Wir werden weiteren Input vom Steering Group, den Ministerien und dem wissenschaftlichen Rat des FNR mit einfließen lassen.“

Autor: Michèle Weber (FNR)
Redaktion: Jean-Paul Bertemes & Didier Goossens (FNR)

Infobox

Welche Dokumente dienten als Basis für die Strategie und Prioritäten?

Zahlreiche Dokumente dienten als Basis für die Ausarbeitung der neuen Forschungsstrategie:

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