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Autor: Ralf Butscher (Science Relations)
Co-Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Editor: Hannes Schlender (Science Relations)
Seit dem 20. Dezember 2021 ist in der Europäischen Union ein weiterer Impfstoff gegen COVID-19 zugelassen. Er trägt offiziell die Bezeichnung Novaxovid (NVX-COV2372) und wurde von dem US-Unternehmen Novavax aus Gaithersburg (Maryland) entwickelt.
Es ist der erste Impfstoff gegen Sars-CoV-2, welcher nicht auf dem mRNA-Verfahren oder dem Vektor-Verfahren basiert. Einige Menschen sind gegenüber diesen Techniken skeptisch. Vertrauen sie diesem impfstoff mehr? Einige Menschen warten auch auf einen sogenannten Totimpfstoff. Novavax wird manchmal als solcher bezeichnet. Wobei es sich allerdings nicht um einen klassischen Totimpfstoff handelt. Die Kategorisierung ist hier nicht ganz eindeutig. Mehr dazu im Artikel.
In Luxemburg wird er künftig neben den Vakzinen von Biontech/Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson als weitere Impfstoff-Alternative angeboten – vorerst mal nur in den Impfzentren und ab 18 Jahren.
Der Experte für Virologie und Immunologie vom Luxembourg Institute of Health (LIH) Prof. Dr. Claude P. Muller erklärt, was Sie über den neuen Impfstoff Novavax wissen müssen.
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Prof. Dr. Claude P. Muller ist Experte für Virologie und Immunologie am Luxembourg Institute of Health (LIH). Er hat dort das Europäische Referenzzentrum der WHO für Masern und Röteln aufgebaut und in Laos am Institut Pasteur das Labor für Virusinfektionen. Er berät seit Jahren die WHO und zahlreiche Gesundheitsbehörden zu vaccine preventable diseases. An der Universität Homburg/ Saar hält er Vorlesungen zu Impfskepsis und -ethik. Den Ethikrat des Deutschen Bundestags hat er bei der Einführung der Impfpflicht gegen Masern beraten.
Herr Prof. Muller, worin unterscheidet sich der neue Impfstoff von Novavax von den bisher zugelassenen Impfstoffen?
Novavax ist ein sogenannter Protein-Impfstoff, der grundsätzlich anders aufgebaut ist als die bislang in der EU gegen COVID-19 zugelassenen Impfstoffe. Er besteht aus Partikeln, sogenannten virus-like particles (VLP), die an ihrer Überfläche eine hohe Dichte des SARS-CoV-2 Spike-Proteins präsentieren.
Spike-Proteine sind die Eiweiß-Moleküle, die dem Coronavirus seine markante stachelige Form verleihen. Sie wirken als Antigene, sind also die molekularen Strukturen, an die sich Antikörper des Immun-Abwehrsystems heften, um das Virus zu neutralisieren.
Das Spike-Protein ist auch das zentrale Antigen der anderen in Luxemburg zugelassenen COVID-19-Impfstoffe. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, wie es gebildet wird. Bei Novavax wird das Spike-Protein im Bioreaktor des Herstellers produziert, anhand von Kulturen von Insektenzellen – während es im Falle der anderen zugelassenen Impfstoffe hingegen in den Körperzellen des Impflings gebildet wird.
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Für den Impfstoff von Novavax werden die Antigene außerhalb des Körpers produziert, in einem sogenannten Fermenter. In einem solchen Bioreaktor werden Kulturen von Insektenzellen gezüchtet. Diese werden von einem Insektenvirus, einem Baculovirus infiziert, das vorher mit dem Gen des Spike-Proteins transfiziert wurde. Nach einer solchen Infektion produzieren die Insektenzellen großen Mengen des Spike-Proteins. Diese Proteine werden anschließend aus den Zellen extrahiert, aufgereinigt und für den Impfstoff aufbereitet – Experten sagen: formuliert. Dabei wird unter anderem ein sogenanntes Adjuvans hinzugefügt, das die Wirkung der Antigene auf das Immunsystem verstärkt. Diese Mischung wird dann zum Impfen verwendet.
Bei mRNA- und Vektor-Impfstoffen hingegen wird nicht das Spikeprotein injiziert, sondern eine Art Vorläufer-Material, die sogenannte messenger RNA (mRNA). Sie gelangt in die Zellen des Impflings und regt die Zellen dazu an, Spike-Proteine als Antigene zu produzieren. Diese werden aus der Zelle ausgeschleust und induzieren die Immunreaktion. Der Unterschied ist also, dass das Novavax-Antigen im Bioreaktor des Herstellers produziert wird, das Antigen der anderen zugelassenen Impfstoffe hingegen in den Körperzellen des Impflings gebildet wird.
Das Vakzin von Novavax wird manchmal als „Totimpfstoff“ bezeichnet. Was bedeutet das?
Ein „Lebendimpfstoff“ enthält lebendige, reproduktionsfähige, aber abgeschwächte Viren, die nicht krank machen. Ein Beispiel dafür ist der MMR-Impfstoff (Masern, Mumps, Röteln).
Beim Lebendimpfstoff vermehren sich nach der Impfung die attenuierten Viren im menschlichen Körper, wie nach einer Infektion: Sie dringen in Zellen ein und nutzen deren biologische Mechanismen, um neue Viren zu erzeugen. So vermehren sich die eingeimpften Viren im Körper – und die Immunabwehr reagiert darauf.
Bei einem „Totimpfstoff“ wie Novavax hingegen werden Proteine injiziert, also nur „tote“ Virus-Bruchstücke. Sie können sich im Körper nicht vermehren.
Auch mRNA- und Vektor-Impfstoffe sind im Prinzip Totimpfstoffe. Man könnte sie aber auch zwischen Lebend- und Totenimpfstoffen einordnen.
Gibt es Impfstoffe nach Art von Novavax bereits gegen andere Erkrankungen?
Ja, es gibt seit Längerem virus-like-particle-Impfstoffe gegen Hepatitis B, und das Humane Papillom-Virus (HPV), den Erreger des Gebärmutterhalskrebses. Auch ein VLP-Impfstoff gegen Malaria ist sehr erfolgversprechend. Diese Impfstoffe haben eine sehr gute Verträglichkeit und sind sehr wirksam.
Was sagen Studien über die Wirksamkeit von Novavax?
Im Winter 2020/2021 liefen mehrere Studien mit insgesamt rund 45.000 Testpersonen, die zu sehr ähnlichen Ergebnissen kamen. So nahmen an einer Studie in Großbritannien rund 30.000 Menschen teil. Zwei Drittel davon wurden mit Novavax geimpft, ein Drittel – die Kontrollgruppe – erhielt zum Vergleich ein wirkstofffreies Placebo als Scheinmedikament.
Insgesamt traten 77 COVID-19-Fälle mit mindestens leichten Symptomen auf – davon 14 Fälle unter den geimpften Testpersonen und 63 in der Placebo-Gruppe. Daraus lässt sich eine Wirksamkeit von rund 90 Prozent errechnen.
Das entspricht etwa der Wirksamkeit anderer Impfstoffe gegen COVID-19.
Wichtig ist: Schwerere Fälle gab es nur in der Placebo-Gruppe – der Schutz gegen eine schwere Erkrankung lag also in dieser Studie bei 100 Prozent.
Allerdings: Wie auch bei anderen Impfstoffen wurde noch gegen das ursprüngliche Virus getestet, Varianten wie Delta und Omikron gab es während der Studien noch nicht. Es ist aber anzunehmen, dass die Schutzwirkung gegen die neuen Varianten ähnlich hoch ist wie gegen den Alpha-Virus aus Wuhan, mindestens aber gegen schwere Krankheitsverläufe.
Wer könnte besonders von dem neuen Impfstoff profitieren?
Attraktiv könnte der Novavax-Impfstoff unter anderem für Menschen sein, die sich bisher nicht impfen lassen wollten, weil sie aus welchen Gründen auch immer die mRNA- oder Vektor-Impfstoffe ablehnen.
Wie sieht das Impfschema bei Novavax aus?
Um einen vollständigen Impfschutz zu erreichen, werden zwei Dosen verabreicht. Dazwischen müssen mindestens 21 Tage liegen. Zusätzlich empfehlen die Behörden in Luxemburg eine dritte Dosis für Menschen mit geschwächtem Immunsystem, rund zwei bis sechs Monate nach der zweiten Spritze. Ich denke aber, dass am Ende für einen optimalen und anhaltenden Schutz drei Dosen verabreicht werden, so wie das auch bei anderen Proteinimpfstoffen üblich ist.
Wie steht es um Impfreaktionen und Komplikationen?
In den Studien zeigten sich die von anderen Impfungen bekannten Reaktionen wie lokale Schmerzen, Rötungen oder Schwellungen an der Einstichstelle sowie auch Müdigkeit, Muskel- oder Kopfschmerzen. Diese Reaktionen waren meist moderat und waren nach wenigen Tagen abgeklungen. Schwere Komplikationen, die sich auf die Impfung zurückführen ließen, gab es bei den 20.000 Studienteilnehmer nicht. Noch seltenere Komplikationen konnten in der Studie nicht erfasst werden. Sie treten bei Impfungen allgemein extrem selten auf.
Anmerkung: Nachdem ein Impfstoff die klinische Phase 3 „überstanden“ hat und zugelassen wird, kann er verabreicht werden. In den ersten Monaten nach der Zulassung wird der Impfstoff jedoch weiterhin überprüft, indem schwere Nebenwirkungen erfasst werden. Man spricht von der Phase 4.
Für wen wird eine Impfung mit Novavax empfohlen?
Die Empfehlung gilt für alle Personen über 18 Jahren. Daneben gibt es auch bereits positive Ergebnisse von Studien mit Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren. Außer bei Patienten mit schweren Allergien gegen Inhaltstoffe sind keine Kontraindikationen bekannt.
Lässt sich Novavax mit anderen Impfstoffen kombinieren?
Dazu gibt es bisher keine Studien. Ich persönlich halte aber gerade eine Kombination mit mRNA und Vektorimpfstoffen für besonders vielversprechend. Die bisher verfügbaren mRNA- und Vektor-Impfstoffe, bei denen die Antigene intrazellulär gebildet werden, führen zu einer effektiven Aktivierung der zellulären Immunität und damit zu einem starken Schutz gegen schwere Erkrankungen. Doch wie wir wissen, wirken sie weniger gut gegen die Infektion, das heißt: Man kann sich trotz Impfung anstecken. Protein-Impfstoffe wie Novavax sind hingegen dafür bekannt, besonders erfolgreich Antikörper zu induzieren. Damit eignen sie sich gut, um das eigene Infektionsrisiko zu senken und verringern vermutlich die Wahrscheinlichkeit, Viren an andere Menschen weiterzugeben. So gesehen könnte die Kombination mit dem Novavax Impfstoff meiner Einschätzung nach das Infektionsgeschehen noch einmal zusätzlich reduzieren.
Gehen wir nun etwas detaillierter auf die Herstellung und Wirkweise von Novavax ein. Warum dienen ausgerechnet Insektenzellen zur Produktion der Antigene?
Das ist eine Standardmethode, die seit Langem für die Herstellung von Proteinen jeglicher Art verwendet wird. Man verwendet Mottenzellen, weil diese nach Infektion mit dem Baculovirus große Mengen von diesen Virus-like Partikeln produzieren.
Und wozu dient das Adjuvans, der Wirkverstärker?
Wirkverstärker werden in vielen Impfstoffen verwendet. Der Grund: Hoch aufgereinigte Proteinantigene, wie sie für Impfstoffe benutzt werden, würden keine Immunreaktion auslösen, da ihnen ein „danger-signal“ fehlt. Es wird nicht als gefährlich oder als Eindringlinge erkannt und einfach ignoriert. Um eine Immunreaktion auszulösen, muss dem reinen Protein-Antigen etwas beifügt werden, das das Immunsystem eben entsprechend anregt. Es gibt viele verschiedene Wirkmechanismen von Adjuvantien. Novavax verwendet einen Wirkverstärker namens Matrix M1.
Wie funktioniert das Auslösen des Immun-Alarms?
Um eine effiziente Immunreaktion hervorzurufen, müssen dem Immunsystem die Antigene des Impfstoffs auf geeignete Weise präsentiert werden. Ein Prinzip ist, es gewissermaßen aussehen zu lassen wie ein Mikroorganismus. Viren oder Bakterien zeichnen sich durch repetitive Bausteine in sich widerholenden Mustern aus. Diese multimeren Strukturen werden vom Immunsystem als gefährlich erkannt. Die virus-like particles des Novavax-Impfstoffs haben eine solche multimere, selbst aggregierende Struktur. Dieser Effekt kann noch durch andere Effekte, etwa bestimmte Lipidmischungen verstärkt werden.
Wie wirkt der Impfstoff dann im Körper?
Die als Antigene fungierenden Spike-Proteine werden von sogenannten antigenpräsentierenden Zellen (APC) aufgenommen, und von diesen zu kurzen Peptiden verdaut. Diese Peptide werden dann an der Oberfläche der APC im Rahmen des sogenannten Haupthistokompatibilitätskomplex an der Zelloberfläche T-Zellen präsentiert und von diesen erkannt. Die T-Zellen regen dann z.B. B-Zellen an, die über ihre Oberflächen-Antikörper (Immunglobuline) das Spike-Protein erkennen Spike-spezifische Antikörper zu bilden. Die Antikörper binden an das Virus und neutralisieren dieses in dem sie zum Beispiel dessen Bindung an den Rezeptor Viruswirtzelle verhindern. Dadurch wird das Immunsystem auch für künftige, Coronavirus-Attacken vorbereitet, gewissermaßen trainiert.