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Autor: Daniel Saraga
Redaktion: Jean-Paul Bertemes, Michele Weber (FNR)
Beratung: Conchita D’Ambrosio und Philippe Van Kerm (Universität Luxemburg)
Übersetzung: Nadia Taouil 


Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Dieser Eindruck ist weit verbreitet, auch vor dem Hintergrund der steigenden Zahl an Milliardären weltweit (2781 im Jahr 2024 gegenüber 1645 vor zehn Jahren). Die Situation in Europa ist jedoch differenzierter, und Vermögensungleichheiten sind nicht dasselbe wie Einkommensungleichheiten.

Wir fassen zusammen, was wir aus Statistiken und Forschung über wirtschaftliche Ungleichheiten – bei Einkommen und Vermögen – in Luxemburg wissen und stellen uns dabei die folgenden Fragen:

  • Wie lassen sich Ungleichheiten messen?
  • Verstärken sich die wirtschaftlichen Ungleichheiten?
  • Welche Folgen haben diese Ungleichheiten?
  • Wie nimmt die Bevölkerung diese Ungleichheiten wahr?

Zusammenfassung

Wirtschaftliche Ungleichheiten sind der Ausdruck einer ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Bevölkerung. Da Reichtum sich tendenziell anhäuft, sind die Unterschiede bei den Vermögen deutlich größer als bei den Einkommen. In Luxemburg besitzen die reichsten 10 % der Bevölkerung 27 Mal so viel wie der Durchschnitt der unteren Hälfte der Bevölkerung, während das Verhältnis bei den Einkommen 1:4 beträgt.

In Westeuropa sind die Einkommensungleichheiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zurückgegangen. Anschließend haben sie sich stabilisiert oder sind gestiegen. Seit den 2000er-Jahren sind sie relativ stabil. Im Süden Europas sind sie stärker und im Norden weniger ausgeprägt.

In Luxemburg sind sie etwa 20 Jahre lang leicht gestiegen. Ein Grund dafür könnte in demografischen Veränderungen und der Tatsache liegen, dass entweder hochqualifizierte Menschen mit hohen Einkommen oder schlecht ausgebildete mit geringen Einkommen ins Land gezogen sind.

Wirtschaftliche Ungleichheiten wirken sich auf zahlreiche Aspekte des Lebenslaufs aus, etwa Gesundheit, Bildung, Wohnen oder Freizeit. Der schulische Erfolg von Kindern hängt maßgeblich vom sozioökonomischen Status ihrer Eltern ab, da wohlhabendere Familien ihre Kinder stärker unterstützen können. Dieses Phänomen ist in Luxemburg stärker ausgeprägt als in den Nachbarländern. Auch hier könnte die Demografie wieder eine Rolle spielen, da der Anteil fremdsprachiger Familien mit niedrigen Einkommen sehr hoch ist.


Dieser Artikel ist unter Mitwirkung von Conchita D’Ambrosio und Philippe Van Kerm entstanden.
 

Conchita D’Ambrosio ist Professorin am Fachbereich Verhaltens- und Kognitionswissenschaften der Universität Luxemburg. Sie ist auf wirtschaftliche Ungleichheiten und Armut spezialisiert und beschäftigt sich mit den Phänomenen soziale Ausgrenzung, wirtschaftliche Unsicherheit, Resilienz und Lebensläufe.

Philippe Van Kerm ist Professor am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Luxemburg. Seine Forschungsgebiete sind vor allem Einkommensungleichheiten, wirtschaftliche Mobilität und Sozialschutz.

Wie lassen sich Ungleichheiten messen?

Soziale Ungleichheiten, Gleichheit und Gerechtigkeit

Eine Gesellschaft ohne Ungleichheiten wäre eine Gesellschaft, in der die Ressourcen vollkommen gleichmäßig verteilt sind. In einem solchen Szenario würde jeder dieselbe Menge an Geld besitzen oder verdienen, alle hätten eine identische Ausbildung und vergleichbaren Wohnraum.

Die Frage der Gleichheit betrifft nicht nur die Ressourcenverteilung, sondern auch Unterschiede in den Lebensstandards, die von verschiedenen Bevölkerungsgruppen erreicht werden, wie z. B. Schulerfolg, Gesundheitszustand oder Freizeitgestaltung.

Soziale Ungleichheit beschreibt die ungleichmäßige Verteilung des Zugangs zu einer bestimmten Ressource (wie Vermögen oder Einkommen oder Zugang zu medizinischen Dienstleistungen oder Wohnraum) oder von Lebensstandards (Ausbildung, Gesundheit usw.).

Diese beiden Aspekte sind eng miteinander verbunden. Wer aufgrund eines prekären Arbeitsverhältnisses über ein geringes Einkommen verfügt, dem ist unter Umständen auch der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen erschwert (Schwierigkeit, während der Arbeitszeit Arzttermine wahrzunehmen), was wiederum zu einem schlechteren Gesundheitszustand führt. Wohlhabende Familien können ihre Kinder in schulischen Belangen stärker unterstützen, so dass die wirtschaftlichen Ressourcen der Eltern einen starken Einfluss auf das Bildungsniveau der Kinder haben.

Diese sozialen Ungleichheiten sind Ausdruck einer mangelnden Gleichheit (Sicherstellung derselben Rechte und desselben Zugangs zu Ressourcen für alle) und Gerechtigkeit (Bereitstellung angemessener Ressourcen für verschiedene Personen, um Chancengleichheit zu gewährleisten).

In der Realität haben die Bessergestellten mehr von der Gesellschaft. Gleichheit bedeutet, für alle dieselbe Ausgangssituation und dieselben Rechte zu schaffen. Gerechtigkeit bedeutet, dass jeder die für ihn passende Unterstützung erhält, um mögliche Benachteiligungen auszugleichen. Die Förderung von sozialer Gerechtigkeit beseitigt Ungleichheiten durch den Abbau von Barrieren. Bild: Angus Maguire, Interaction Institute for Social Change
 

Soziale Ungleichheiten umfassen Ungleichheiten in den folgenden Bereichen:

  • Wirtschaft
  • Gesundheit (Zugang zu Leistungen und Gesundheitszustand)
  • Bildung (schulische Unterstützung, Schulgeld, Abschlüsse)
  • Wohnen
  • soziale Dienstleistungen (Kinderkrippen, Arbeitslosenunterstützung usw.)
  • Freizeit (Kultur, Sport, Grünflächen usw.)

Wirtschaftliche Ungleichheiten

Schwerpunkt des vorliegenden Artikels sind wirtschaftliche Ungleichheiten, das heißt Einkommens- und Vermögensunterschiede.

Statistiken über Ungleichheiten beziehen sich in der Regel auf das verfügbare Äquivalenzeinkommen, eine Schätzung des Betrags, der den Menschen tatsächlich für Ausgaben und Sparen zur Verfügung steht. Es wird auf der Grundlage des Nettolohns (oder der Rente) des Haushalts nach Steuern, zuzüglich etwaiger Kapitaleinkünfte oder Sozialleistungen (für Kinder oder Geringverdiener), berechnet und dann durch die Zahl der „Erwachsenenäquivalente“ geteilt, die im selben Haushalt leben (1 für den ersten Erwachsenen, 0,5 für jede weitere Person über 14 Jahren und 0,3 für jedes Kind). Ziel der Berechnung ist die Berücksichtigung von Einspareffekten durch gemeinsame Nutzung bestimmter Ressourcen (Kühlschrank, Internet usw.) in einem Haushalt.

Ungleichheit messen

Eine einfache Methode, um Ungleichheiten zu messen, besteht darin, die Situation der wohlhabendsten 1 % der Bevölkerung (oberstes Perzentil) mit der Situation der ärmsten 1 % der Bevölkerung (unterstes Perzentil) zu vergleichen. Dies kann auch mit den obersten und untersten 10 % (Dezilen) oder 20 % (Quintilen) geschehen. Diese Methode ist einfach, hat aber den Nachteil, dass sie die Situation zwischen den Extremen, insbesondere die der Mittelschicht, nicht gut beschreibt.

In Luxemburg ist das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen der reichsten 10 % etwa sieben Mal so hoch wie das der ärmsten 10 % und doppelt so hoch wie der Durchschnitt der ärmsten 50 %. Dieses Verhältnis explodiert, wenn man sich das Vermögen anschaut, wo die reichsten 10 % über das 27-Fache des Durchschnitts der unteren Hälfte verfügen.

Das verfügbare durchschnittliche Einkommen der oberen 10 % der luxemburgischen Bevölkerung liegt bei 127.000 Euro, das heißt sieben Mal höher als das der unteren 10 % und vier Mal höher als der Durchschnitt der unteren Hälfte. Bei den Vermögen besitzen die reichsten 10 % mehr als sechs Millionen Euro und damit 27 Mal mehr als der Durchschnitt der unteren Hälfte der Bevölkerung. Die ärmsten 10 % haben im Schnitt Schulden in Höhe von 30.000 Euro. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2021. Quelle: LIS
 

Eine andere Methode – der Gini-Koeffizient – berücksichtigt die Gesamtverteilung einer Ressource. Er ist umso kleiner, je gleichmäßiger die Verteilung ist und umso größer, je ungleicher sie ist. Er reicht von 0 %, wenn alle genau gleich viel besitzen (nämlich den Mittelwert der Ressource), bis 100 % im Falle einer extremen Verteilung, bei der eine Person die gesamte Ressource besitzt und die anderen gar nichts. Dieses Standardmaß in der Ökonomie ermöglicht geografische und zeitliche Vergleiche.

Der Gini-Koeffizient spiegelt auch den Unterschied in den Ressourcen zwischen zwei zufällig ausgewählten Personen bezogen auf das Doppelte des Durchschnitts wider. In Luxemburg liegt er bei etwa 30 %. Das bedeutet, dass der Einkommensunterschied zwischen zwei zufällig ausgewählten Personen 15 % des durchschnittlichen verfügbaren Äquivalenzeinkommens von 4700 Euro beträgt, also 710 Euro. In Belgien liegt er bei 25 % und zwei Personen haben einen durchschnittlichen Einkommensunterschied von 350 Euro bei einem Durchschnittseinkommen von 2800 Euro.

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Der Gini-Koeffizient

Der Gini-Koeffizient misst, ob eine Verteilung gleichmäßig oder im Gegenteil sehr stark auf bestimmte Gruppen konzentriert ist. Er wird berechnet, indem die tatsächliche Verteilung mit einer vollkommenen Gleichverteilung verglichen wird, bei der jede Bevölkerungsgruppe den gleichen Anteil besitzt oder erhält. In diesem Fall beträgt der Koeffizient null. Je mehr die Verteilung von der Gleichverteilung abweicht, desto mehr nähert sich der Koeffizient dem Wert 1.

Der Gini-Koeffizient wird berechnet, indem die tatsächliche kumulative Verteilung einer Ressource (blau) mit einer theoretischen vollkommen gleichmäßigen Verteilung (grün) verglichen wird. Der Gini-Koeffizient ist dann doppelt so groß wie die Fläche zwischen den beiden Kurven (orange).
 

Sind die Daten verlässlich?

Die Wirtschaftswissenschaft ist sich ob der Zuverlässigkeit dieser Messungen uneinig. Die Zahlen von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, basieren auf Erhebungen, die je nach tatsächlicher Beteiligung nicht immer vollkommen repräsentativ sind. „Sie neigen dazu, die Extreme, das heißt auf der einen Seite sehr wohlhabende und auf der anderen Seite sehr arme Menschen, insbesondere solche ohne festen Wohnsitz, nicht ausreichend zu berücksichtigen und daher die Ungleichheiten zu unterschätzen“, erläutert Conchita D’Ambrosio, Expertin für Ungleichheiten und Professorin für Wirtschaft an der Universität Luxemburg.

Die World Inequality Database versucht, diese Schwächen auszugleichen, indem sie sich auf verfügbare Steuerdaten stützt. Da sich diese jedoch von Land zu Land unterscheiden, sind auch diese Ergebnisse mit Unsicherheiten und großen Schwankungen behaftet. Im Allgemeinen sind ihre Schätzungen der Ungleichheit höher als die von Eurostat. Für Luxemburg ergibt ihr Ansatz einen Gini-Koeffizienten des Einkommens von 45 %, während Eurostat sowie die LIS-Datenbank, die in der folgenden Abbildung zur Entwicklung der Einkommensungleichheiten in Luxemburg verwendet wird, einen Koeffizienten von 30 % berechnen.

Darüber hinaus gelingt es keiner der beiden Methoden, die Steuerhinterziehung zu berücksichtigen. Ein Teil der Einkommen, insbesondere der hohen, wird gar nicht versteuert oder in den Erhebungen nicht angegeben, was zu einer irreführenden Verringerung der hohen Einkommen führt. Die Wirtschaftswissenschaft geht davon aus, dass die veröffentlichten Werte die tatsächliche Ungleichheit unterschätzen, aber dennoch nützlich sind, um Entwicklungen zu verfolgen, Vergleiche zwischen Ländern anzustellen, die Auswirkungen auf Lebensläufe abzuschätzen oder die Wirksamkeit politischer Maßnahmen zur Verringerung von Ungleichheiten zu bewerten.

Verstärken sich die wirtschaftlichen Ungleichheiten?

Die Einkommensungleichheiten sind in Westeuropa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insgesamt zurückgegangen, bevor sie sich in den einzelnen Ländern unterschiedlich entwickelt haben.

  • In Spanien und Frankreich haben sie sich auf einem mittleren Niveau stabilisiert.
  • In den folgenden Ländern sind sie zunächst weiter zurückgegangen, bevor sie wieder anstiegen:

    > leicht in Schweden und Italien,
    > stärker in Deutschland und im Vereinigten Königreich.

Seit den 2000er-Jahren sind die Einkommensungleichheiten in den westeuropäischen Ländern relativ stabil.

In den USA, einem Land mit starken Ungleichheiten, sieht die Situation anders aus: Dort sind die Ungleichheiten seit 1900 insgesamt gestiegen, mit Ausnahme eines Rückgangs zwischen 1940 und 1980.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens in den meisten westlichen Ländern an die zehn reichsten Prozent der Bevölkerung – häufig das Dreifache dessen, was die untere Hälfte der Bevölkerung (insgesamt, nicht im Schnitt) verdiente. In den letzten 30 Jahren haben sich die Unterschiede verringert und sind relativ stabil geblieben. In Anlehnung an World Inequality Report 2022.
 

Die Vermögensungleichheiten sind viel ausgeprägter: Die reichsten 1 % besitzen ein Vielfaches dessen, was die ärmere Hälfte besitzt. Dieser Unterschied hat sich in Europa seit 1900 stark verringert, in den USA seit den 1970er-Jahren jedoch wieder vergrößert.

Das Vermögen der reichsten 1 % lag in Europa und in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa 50 Mal höher als das der ärmeren Hälfte der Bevölkerung. Dieses Verhältnis ist in Europa stark zurückgegangen und lag 2020 bei etwa fünf, während es in den USA wieder sehr hoch ist (etwa 30). In Anlehnung an World Inequality Report 2022.
 

Entwicklung in Luxemburg

Die Einkommensungleichheiten sind in Luxemburg leicht gestiegen: Der Gini-Koeffizient ist in den letzten 30 Jahren der Luxembourg Income Study zufolge von 25 auf 30 % geklettert. Ein Grund dafür könnte in der demografischen Entwicklung liegen, insbesondere im Anstieg der im Ausland geborenen Menschen, die entweder schlecht ausgebildet sind und ein niedriges Einkommen erzielen oder aber sehr gut qualifiziert sind und zum Finanzplatz und zur Wissensökonomie beitragen, so Conchita D’Ambrosio und Philippe Van Kerm, Experten für Ungleichheit an der Universität Luxemburg.

Das Niveau der Ungleichheit in Luxemburg ist mit dem in Deutschland, Frankreich und den Ländern der Eurozone vergleichbar, liegt aber höher als das Belgiens. In der Eurozone ist die Ungleichheit in den letzten zehn Jahren ganz leicht zurückgegangen.

Die Einkommensungleichheiten steigen in Luxemburg seit etwa 30 Jahren. Der Gini-Koeffizient ist von etwa 25 auf fast 30 % geklettert. Die deutlichen Schwankungen im Jahresvergleich haben vermutlich mit der begrenzten Größe der Stichprobe zu tun, die an der Erhebung teilgenommen hat, erklärt Philippe Van Kerm von der Universität Luxemburg. Quellen: LIS und Eurostat (Eurozone).
 

Die Ungleichheiten sind bei den Vermögen höher als bei den Einkommen (doppelt so hoher Gini-Koeffizient) und in der Eurozone stabil. In Luxemburg sind sie zwischen 2010 und 2021 Angaben der EZB zufolge von 66 auf 64 % gesunken. Diese Ungleichheiten lassen sich auch in Bereichen wie Immobilien feststellen: Eine Studie hat 2021 gezeigt, dass 0,5 % der in Luxemburg lebenden Bevölkerung die Hälfte der bebaubaren Fläche des Landes besitzt.

Die Vermögensungleichheiten in Luxemburg, den Nachbarländern und der Eurozone sind sehr stabil. Sie sind deutlich größer als die Einkommensungleichheiten. Quelle: EZB
 

Die Lage in Europa

Luxemburg nimmt bei den Einkommensungleichheiten in Europa mit dem 16. Platz von 31 Ländern in der Eurostat-Datenbank für 2022 eine mittlere Position ein. Die größten Ungleichheiten finden sich in den südlichen und südöstlichen Ländern des Kontinents sowie in den baltischen Staaten – im Norden und Nordosten sind sie weniger ausgeprägt.

Die Einkommensungleichheiten (Gini-Koeffizienten) sind in den Ländern Südeuropas und im Baltikum am größten (Zahlen aus 2022). Quelle: Eurostat
 

Die Ungleichheiten sind bei den Vermögen deshalb größer, weil Reichtum sich tendenziell anhäuft. In den meisten Ländern Europas liegt der Gini-Koeffizient zwischen 60 und 70 %. Das bedeutet, dass der Vermögensunterschied zwischen zwei zufällig ausgewählten Haushalten etwa bei einem Drittel des Durchschnittsvermögens liegt. In Luxemburg beträgt das Durchschnittsvermögen etwa eine Million Euro, der mittlere Unterschied also etwa 300.000 Euro.

Vermögensungleichheiten sind sehr viel stärker ausgeprägt als Einkommensungleichheiten. Sie liegen in den meisten Ländern zwischen 60 und 70 %. Diese Daten aus 2021 sind nicht für alle Länder verfügbar. Quelle: EZB
 

Wie lassen sich wirtschaftliche Ungleichheiten verringern?

Die Umverteilung von Reichtum ist ein wichtiges Mittel des Staates, um wirtschaftliche Ungleichheiten abzubauen: Progressive Steuern belasten hohe Löhne stärker als niedrige Löhne, und Sozialleistungen und Beihilfen erhöhen das Äquivalenzeinkommen. In Luxemburg hätte der Gini-Koeffizient ohne Steuern und Sozialleistungen 2022 bei 45 % gelegen.

Die Umverteilung des Reichtums senkt die Ungleichheit also um ein Drittel, der Koeffizient fällt von 45 auf 29,5 %. Diese Senkung um 33 % ist geringer als in den Nachbarländern (41 % in Deutschland, 46 % in Frankreich und 47 % in Belgien), Länder, in denen Steuern und Beihilfen eine größere Rolle spielen.

Wie nimmt die Bevölkerung diese Ungleichheiten wahr?

Ungleichheit ist ein wichtiges politisches Thema, zu dem die Bevölkerung eine deutliche Meinung hat. Einer 2022 durchgeführten Umfrage zufolge finden 80 % der europäischen Bevölkerung die Ungleichheiten zu groß und sind der Ansicht, dass die Regierungen mehr Maßnahmen ergreifen sollten, um sie abzubauen. Dieser Anteil ist seit 2017 (85 %) leicht zurückgegangen.

Die Wahrnehmung der Ungleichheiten durch die Bevölkerung kann jedoch irreführend sein. Sie entspricht häufig nicht wirklich den oben beschriebenen wirtschaftswissenschaftlichen und statistischen Berechnungen. Dieser Eindruck hängt von unserer – oft nur groben – Einschätzung dessen ab, was andere Menschen im Monat verdienen. Er hängt auch davon ab, was andere unserer Ansicht nach (unter moralischen oder politischen Gesichtspunkten) verdienen „sollten“ und wo wir uns selbst auf der Einkommensskala verorten. „Menschen vergleichen sich eher nicht mit der Gesamtgesellschaft, sondern mit bestimmten anderen Personen – den Kollegen, Nachbarn, Freunden oder Berühmtheiten“, erklärt Conchita D’Ambrosio von der Universität Luxemburg.

In einer 2020 in 25 Ländern der OECD durchgeführten Umfrage schätzten die Befragten im Durchschnitt, dass das mittlere Einkommen der zehn reichsten Prozent 52 % der Gesamteinkommen ausmacht, also doppelt so viel wie in der Realität. In Deutschland und noch stärker in Frankreich überschätzen die Menschen den Bevölkerungsanteil mit einem sehr niedrigen Einkommen sehr stark. In der Schweiz ist dies weniger der Fall, obwohl das Ungleichheitsniveau in allen drei Ländern sehr ähnlich ist. In den USA stellt sich die Situation anders dar. Hier wird die Einkommensungleichheit unterschätzt.

Menschen ordnen sich tendenziell in der Mittelschicht ein und verorten ihr Einkommen näher am Durchschnitt, als es tatsächlich liegt. Sie überschätzen also die relative Position ihres Einkommens, wenn es niedrig ist, und unterschätzen sie, wenn es hoch ist. Dieser Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit ist in Ländern mit großer Ungleichheit, mit niedrigem Einkommen oder schnellem Einkommenszuwachs in jüngster Zeit stärker ausgeprägt.

Infobox

In welche Einkommensgruppe fallen Sie?

Unter www.compareyourincome.org können Sie die Wahrnehmung Ihres Gehalts mit der Realität und der durchschnittlichen Einschätzung der Bevölkerung vergleichen.

Die Diagramme zeigen, wie die Bevölkerung die Einkommensverteilung wahrnimmt. In Frankreich stellen sich die Menschen einen großen Anteil von Personen mit sehr niedrigen Einkommen vor, während sie in der Schweiz fünf gleichmäßig verteilte untere Einkommensgruppen vermuten. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Mittelschicht bildet in diesen Ländern jeweils die größte Gruppe. In Anlehnung an Subjektive Ungleichheitswahrnehmung und Umverteilungspräferenzen: ein internationaler Vergleich (2014).
 

Unterschätzung beim Vermögen

Beim Vermögen sieht die Situation anders aus. Hier werden die Ungleichheiten tendenziell unterschätzt. In den USA – einer von großen Ungleichheiten geprägten Gesellschaft – schätzten die Befragten, dass die Gruppe der 20 reichsten Prozent den Gegenwert von 59 % des Gesamtvermögens besitzt. In Wirklichkeit sind es 84 %. In Deutschland haben die Menschen den Eindruck, die Vermögensungleichheiten seien weniger ausgeprägt als die Einkommensungleichheiten, obwohl sie in Wahrheit drei Mal so groß sind, da die Anhäufung von Vermögen die Ungleichheiten vergrößert.

Das Einkommen der reichsten 10 % wird tendenziell überschätzt (52 % des Gesamteinkommens gegenüber 25 % in der Realität in den OECD-Ländern) und das Vermögen der reichsten 10 % tendenziell unterschätzt (59 % gegenüber 84 % in den USA). Quellen: Does Inequality Matter? und Building a Better America — One Wealth Quintile at a Time
 

Zwei Betrachtungsweisen von Ungleichheit

Nach Conchita D'Ambrosio gibt es zwei Möglichkeiten, die wirtschaftlichen Ungleichheiten in einer Gesellschaft zu bewerten. In der komparativen Perspektive vergleicht der Befragte sein Einkommen oder Vermögen mit dem der anderen. Er abstrahiert nicht von der eigenen Position auf der Wohlstandsskala, sondern berücksichtigt, dass er persönlich von einer Veränderung der Ressourcenverteilung betroffen wäre. Eine gleichmäßigere Verteilung würde einer Person mit niedrigem Einkommen zugutekommen, nicht aber jemandem mit einem hohen Gehalt. Menschen vergleichen in der Regel in absoluten Zahlen („Ich verdiene 300 Euro mehr als der nationale Durchschnitt“) und nicht in relativen Zahlen („Ich besitze 20 % mehr als die Ärmsten“) wie in statistischen Messungen.

In der normativen Perspektive abstrahiert der Befragte vom eigenen Einkommen und schaut von außen auf das Thema Ungleichheit, indem er beispielsweise verschiedene Vermögensverteilungen vergleicht und beurteilt, wie „gerecht“ oder gleichmäßig sie sind.

Welche Folgen haben wirtschaftliche Ungleichheiten?

Einkommens- und Vermögensunterschiede haben großen Einfluss auf zahlreiche Aspekte des Lebens, von der Bildung über das Wohnen bis hin zur Gesundheit. Diese Auswirkungen hängen stark vom sozialen Sicherheitsnetz und anderen Maßnahmen ab, die der Staat umsetzt, um eine gewisse Gerechtigkeit herzustellen, wie Umverteilung des Reichtums durch Steuern und Sozialversicherungen (Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Krankheit usw.), öffentlicher Nahverkehr, kostenlose Gesundheitsdienstleistungen, eine qualitativ hochwertige öffentliche Schulbildung usw. So werden die Unterschiede zwischen Reichen und Armen in einem Land mit einem begrenzten sozialen Sicherheitsnetz wie den USA verstärkt und durch eine starke Sozialpolitik wie in den skandinavischen Ländern reduziert.

Ungleichheiten in der Bildung

Zahlreiche internationale Studien haben gezeigt, dass Einkommen und Bildungsniveau sehr stark korrelieren. Der sozioökonomische Status der Eltern hat einen deutlichen Einfluss auf den Bildungsweg der Kinder. Schule kann die soziale Mobilität, das heißt die Verbesserung des eigenen sozioökonomischen Status im Vergleich zu dem der Eltern, fördern, ist aber nicht in der Lage, diese Ungleichheiten vollständig zu beseitigen. Die Hauptgründe dafür sind, dass Kinder aus privilegierten Familien tendenziell bessere Schulen besuchen und häufig zu Hause mehr Unterstützung erfahren.

Diese Situation ist in Luxemburg besonders und stärker ausgeprägt als in den Nachbarländern. Das Großherzogtum weist in der PISA-Studie den größten Unterschied aller OECD-Länder zwischen der Lesekompetenz der privilegiertesten (537 Punkte) und der am wenigsten privilegierten Schüler (415) auf. Dieser Unterschied von 122 Punkten liegt 37 % über dem OECD-Durchschnitt. Etwa 18 % dieses Unterschieds lassen sich auf sozioökonomische Ungleichheiten zurückführen. In der OECD insgesamt sind es 12 %. In den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften sieht es ähnlich aus.

Das hat zum Teil mit der demografischen Zusammensetzung Luxemburgs und dem hohen Anteil an Kindern von Eltern mit einer anderen Muttersprache zu tun, erklärt Philippe Van Kerm. Eine Fremd- als Muttersprache zu sprechen bedeutet einen Nachteil in der Schule, und das schon im vorschulischen Bereich, in dem Luxemburgisch gesprochen wird. Und Familien mit Migrationsgeschichte sind in den unteren Einkommensgruppen überrepräsentiert. Es handelt sich also um eine doppelte Belastung durch die Sprache und den wirtschaftlichen Status der Eltern.

Ungleichheiten im Gesundheitsbereich

Einkommensungleichheiten und Gesundheitsindikatoren sind ebenfalls eng miteinander verknüpft, wobei eine größere Ungleichheit mit ungünstigeren Gesundheitsindikatoren (Sterblichkeit, Zahl der Erkrankten usw.) einhergeht. So führt ein niedriges Einkommen häufig zu einer weniger guten Ernährung und zu Stress, was sich wiederum negativ auf die Gesundheit auswirkt. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 lebt eine 60-jährige Person im Vereinigten Königreich, die in einem Stadtviertel wohnt, das zu den 20 privilegiertesten Prozent gehört, durchschnittlich fünf Jahre länger als eine Person, die in einem Stadtviertel lebt, das zu den 20 am wenigsten privilegierten Prozent gehört. Umgekehrt macht es ein schlechter Gesundheitszustand schwieriger, berufliche Ziele zu erreichen und das eigene Gehalt zu erhöhen.

In Luxemburg war die Zufriedenheit mit der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung bei Arbeitslosen in der Vergangenheit geringer, hat sich aber in den letzten Jahren dem Niveau anderer Bevölkerungsgruppen angenähert.

 

Autor: Daniel Saraga
Redaktion: Jean-Paul Bertemes, Michèle Weber (FNR)
Beratung: Conchita D’Ambrosio und Philippe Van Kerm (Universität Luxemburg)
Übersetzung: Nadia Taouil (t9n.lu)

 

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Quellen

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