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„Als Wissenschaftler ist Stephen Hawking genial, keine Frage“, sagt Peter Hägele. „Aber bei seinen philosophischen oder religiösen Äußerungen ist das Niveau leider deutlich tiefer.“ Hägele bezieht sich damit auf Hawking und dessen Verhältnis zu Gott. Der weltweit bekannteste Astrophysiker war bekennender Atheist und hatte als solcher schon mehrfach behauptet, dass die Entstehung des Universums nichts mit Gott zu tun habe. „Weil es ein Gesetz wie das der Schwerkraft gibt, kann und wird sich ein Universum selber aus dem Nichts erschaffen“, schrieb Hawking in seinem Buch „Der große Entwurf“.
Keine Erklärung für den Übergang vom Nichts ins Sein
Für Peter Hägele, Professor für angewandte Physik an der Universität Ulm, ist diese Aussage Hawkings allein schon mit Blick auf den Urknall kritisch zu sehen. „Einen Anfang im eigentlichen Sinn - also den Übergang vom Nichts ins Sein - kann auch die Naturwissenschaft nicht erklären“, sagt er. Über die Phase vor dem Urknall wisse man nichts. Folglich könne man weder beweisen noch ausschließen, dass dahinter ein göttlicher Wille stehe.
Hägele war kürzlich im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Uni Luxemburg auf dem Campus Limpertsberg, um dort der Frage nachzugehen, ob man als Naturwissenschaftler an Gott glauben kann. Der vor wenigen Tagen gestorbene Hawking hätte diese Frage ganz klar mit Nein beantwortet. Doch Hägele sieht das anders. Er ist davon überzeugt, dass der Glaube an Gott und die Erklärung des irdischen Lebens durch Naturgesetze kein Widerspruch sein muss. Und der Physiker steht damit nicht allein.
So verweist der Professor auf zwei Umfragen unter amerikanischen Naturwissenschaftlern. Die eine stammt von 1916 und die andere von 1996. Dazwischen liegen 80 Jahre, in denen viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entstehung der Welt gesammelt wurden. Und dennoch gab es am Anteil der Wissenschaftler, die an Gott glauben, nur wenig Veränderung: 1916 gaben 40 Prozent der Befragten an, an Gott zu glauben. 80 Jahre später waren es immerhin noch 38 Prozent.
Naturwissenschaft als nur ein Aspekt in der Sicht auf das Ganze
„Naturwissenschaftler sind erst zufrieden, wenn sie mathematische Strukturen gefunden haben“, sagt Hägele. Doch die Mathematik sei als Strukturwissenschaft weder dazu geeignet, ethische oder ästhetische Fragen zu klären, noch biete sie Antworten auf metaphysische Grundfragen wie den Sinn des Lebens oder aber die Frage, warum es etwas und nicht nichts gibt.
„Nehmen wir zum Beispiel ein altes Gemälde: Wir können mit Hilfe der Naturwissenschaft das Alter und die Zusammensetzung der Farben untersuchen“, sagt der Wissenschaftler, „aber die Aspekte der Schönheit können wir damit nicht erfassen.“
„Naturwissenschaft hat ihre Grenzen und kann deshalb über Sinnfragen keine Auskunft geben“, so Hägele. Sie beschreibe die Welt nur aus einer von vielen Perspektiven. „Ich will die Naturwissenschaft nicht kritisieren, sondern zeigen, dass sie nur ein Aspekt in der Sicht auf das Ganze ist“, erklärt der Physiker.
Induktive Unbestimmtheit: Kein Naturgesetz lässt sich unendlich beweisen
Zudem seien alle mathematischen Modelle im Grunde nur hypothetisch, weil es endlich (aber eben nicht unendlich) viele Möglichkeiten gebe, ein Gesetz zu beweisen. Aus einer Verallgemeinerung werde ein Naturgesetz. Doch ob dieses Naturgesetz auch tatsächlich wahr sei, könne aufgrund der unendlichen Anwendungsmöglichkeiten nie zweifelsfrei bejaht werden.
„Letztendlich können wir als Naturwissenschaftler weder den positiven Gottesbeweis liefern noch das Gegenteil“, so sein Fazit. Die Frage, ob „die Wirklichkeit des Weltganzen“ auf Materie oder auf Gott gründe, bleibe somit unbeantwortet. „Ich denke aber, es gibt gute Gründe, die Entstehung der Welt einem Gott zuzuschreiben“, meint Hägele. Wie sonst ließe das, was vor dem Urknall war, erklären? Die Naturwissenschaft könne das jedenfalls nicht.
Autor: Uwe Hentschel
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Infobox
Um das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft zu Gott zu erklären, gibt es in der Wissenschaft verschiedene Ansätze: Das Verdrängungsmodell beispielsweise geht davon aus, dass die fortschreitende Wissenschaft den Glauben ersetzt. Beim Lückenmodell hingegen hat Gott nur dort seinen Platz, wo sich etwas wissenschaftlich nicht erklären lässt. Einen anderen Ansatz verfolgt hingegen das Komplementaritätsmodell. Hierbei liefern Wissenschaft und Glaube komplementäre Aussagen über die Wirklichkeit, ergänzen sich also gegenseitig.