A. Irmen, Universität Luxemburg

Drei amerikanische Wohlstandsforscher, Daron Acemoğlu, Simon Johnson und James Robinson, erhielten am Montag den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Arbeit im Bereich Wohlstandsgefälle und Einkommensunterschiede. Sie haben die Wurzeln bestimmter institutioneller Entwicklungen bis in die koloniale Vergangenheit zurückverfolgt, um das Wohlstandsgefälle zwischen den Ländern sowohl theoretisch als auch empirisch zu erklären. Ökonomische Institutionen sind die Regeln, Normen und Organisationen, die das wirtschaftliche Handeln in einer Gesellschaft strukturieren (wie z.B. das Rechtssystem, die Regierungen und Finanzinstitutionen...)

Die Wissenschaftler unterscheiden zwischen „inklusive Institutionen“ (Demokratien) vs. “extraktive Institutionen“ (Diktaturen) und konnten zeigen, dass verschiedene koloniale Strategien zu unterschiedlichen institutionellen Entwicklungen führten, je nachdem, wie sich die Siedler entwickelten und anpassten. Je mehr Siedler es in einem Land gab, desto integrativer wurden die Institutionen zum Nutzen der Siedler. Je höher die Sterberate der Siedler, desto extraktiver wurden die Institutionen jedoch, auf Kosten der globalen Bevölkerung.

Meinungsumfragen zeigen, dass die weltweite Unterstützung für die Demokratie auf einem historischen Tiefstand ist; umso relevanter ist die Arbeit der drei Nobelpreisträger.

 

Können Sie in ein paar Sätzen den heutigen Nobelpreis erklären? Inwiefern ist er gerechtfertigt?

Prof. Irmen: „Die diesjährigen Preisträger des Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel – Daron Acemoglu, Simon Johnson und James Robinson – haben wesentlich zum Verständnis globaler wirtschaftlicher Ungleichheit beigetragen. Ihr Ansatz betont die Rolle von Institutionen für die wirtschaftliche Entwicklung. Ein Vergleich unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Systeme, die die europäischen Kolonialmächte in ihren Kolonien eingeführt hatten, zeigt dies deutlich. Wichtig ist die Qualität der etablierten Institutionen. Ein rechtlicher Rahmen, der durchsetzbare Eigentumsrechte verankert, schafft Anreize für Siedler, hart zu arbeiten und in ihre neue Heimat zu investieren. Das hat sich nachweislich positiv auf die Entwicklung der Wirtschaft ausgewirkt.

Die Preisträger haben zudem maßgebliche Methoden entwickelt, um den kausalen Zusammenhang zwischen starken Institutionen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften nachzuweisen.“

 

Welche Überlegungen treiben Ihre eigene Forschung in diesem Bereich voran?

Prof. Irmen: „Die Frage, warum es Länder mit hohem und solche mit niedrigem Lebensstandard gibt, ist vielleicht die grundlegendste in der Volkswirtschaftslehre. Unmittelbar daran schließt sich die Frage an, was gegen Armut getan werden kann. Solche Überlegungen haben auch mein Interesse an der Volkswirtschaftslehre geweckt.

Idealerweise sollte eine Volkswirtschaft so organisiert sein, dass die breite Bevölkerung einen angemessenen materiellen Lebensstandard erreicht. Erst dann werden wesentliche Aspekte einer hohen Lebensqualität, wie Gesundheit, Bildung und Freizeit, für viele Menschen zugänglich. 

Schaut man sich allerdings die Entwicklung der Welteinkommensverteilung über die letzten 200 Jahre an, sieht man krasse Ungleichheiten, die sich noch zu vergrößern scheinen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, einer groben Maßgröße für den durchschnittlichen Lebensstandard eines Landes, geht es heute den Menschen in den modernen westlichen Industrieländern ca. 8-mal besser als in denen in den ärmsten Teilen der Welt.

Eine steigende Einkommensungleichheit entwickelt sich aber auch innerhalb der modernen Industrieländer. Das ist nicht unproblematisch. Wenn das Wohlstandswachstum auf eine kleine Elite beschränkt bleibt, verbreitet sich Unmut in der Bevölkerung, der sich häufig in politischem Extremismus Bahn bricht. Die diesjährigen Nobelpreisträger in den Wirtschaftswissenschaften haben auch auf dieses Phänomen frühzeitig aufmerksam gemacht.“

 

Welche Forschung betreiben Sie und Ihr Team aktuell diesbezüglich?

Prof. Irmen: „In meiner Forschung beschäftige ich mich mit der Rolle des modernen technischen Wandels für die Entwicklung des Lebensstandards der breiten Bevölkerung. Im Fokus steht dabei die Frage, wie Automatisierungstendenzen, verstärkt durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, den Arbeitsmarkt und die dort erzielten Einkommen beeinflussen. Wer profitiert und wer verliert durch den technologischen Fortschritt? Für den Einzelnen scheint entscheidend, ob seine Leistungsfähigkeit durch die „Zusammenarbeit“ mit den neuen Technologien gesteigert oder verringert wird. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene scheinen die neuen Technologien eher die Einkommen von Kapitaleigner und Unternehmern zu begünstigen – oft auf Kosten der Arbeiterschaft.

Wie Engels und Marx für die industrielle Revolution feststellten, stürzte der technologische Wandel die Arbeitnehmer zunächst ins Elend, bevor ein institutioneller Wandel den Wohlstand der breiten Masse im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich ansteigen ließ. Aus der Perspektive der drei Preisträger stellt sich auch heute die Frage nach den richtigen institutionellen Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, die Vorteile des modernen technischen Fortschritts für die breite Bevölkerung zugänglich zu machen.

Solchen Fragestellungen werde ich mich insbesondere im kommenden Jahr während eines Forschungsjahres am MIT widmen, wo zwei der drei heute ausgezeichneten Wissenschaftler tätig sind.“

 

Autor: Prof. Andreas Irmen

Interview: Diane Bertel

Editorin: Michèle Weber (FNR)

Zur Person:

 

Professor Dr. Andreas IRMEN ist einer der führenden deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaftler auf dem Gebiet der vergleichenden Erforschung wirtschaftlicher Entwicklungen und des Wirtschaftswachstums. Seit 2010 lehrt er Volkswirtschaftslehre an der Universität Luxemburg. Zuvor hatte er Lehrstühle für Volkswirtschaftslehre an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (2006-2010) und an der Freien Universität Bozen (2005-2006) inne.

Professor Irmen promovierte an der Universität Lausanne und habilitierte an der Universität Mannheim. Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an die Hebräische Universität Jerusalem (2000), die Harvard Universität (2001-2002), das Massachusetts Institute of Technology (MIT - 2008), die Universität Aix-Marseille (2014), die Paris School of Economics (2017) und an die Brown University (2018). Professor Irmen publiziert regelmäßig in führenden internationalen Fachzeitschriften wie dem Journal of Economic Theory, dem Journal of Economic Dynamics and Control, dem European Economic Review oder dem International Economic Review.

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