C2DH

Vor hundert Jahren eröffnete der luxemburgische Stahl-Gigant ARBED - heute ARCELORMITTAL - seine brasilianische Filiale COMPANHIA SIDERÚRGICA BELGO MINEIRA im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Durch den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften verließen damals hunderte Luxemburger ihre Heimat, um in Brasilien ein riesiges Stahlwerk aufzubauen, um das nach und nach eine Industriestadt entstand. So wurde der Grundstein für die brasilianische Stahlindustrie gelegt.

Auf einer Reise zu ihren eigenen Wurzeln und auf den Spuren ihrer eigenen Identität machte die luxemburgisch-brasilianische Regisseurin und Historikerin Dominique Santana einen außergewöhnlichen Fund: Sie entdeckte die Stadt João Monlevade, die als tropische Version des Industrie-geprägten Südens Luxemburgs ihrer Heimat auf unglaubliche Weise ähnelte. Diese verblüffende Entdeckung war der Beginn einer faszinierenden Suche jenseits der historischen Mythen der „Colônia Luxemburguesa“.

Wie sah diese Colônia aus? Wie war sie in die brasilianische Gesellschaft integriert?

Schaffung einer interaktiven Entdeckungsreise

Um diese Fragen zu beantworten, produziert Dominique Santana im Moment im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) die transmediale Dokumentation „A COLÔNIA LUXEMBURGUESA“. Hierfür benötigt sie Ihre Hilfe!

„'A Colônia Luxemburguesa' wird für die Zuschauer eine interaktive Erfahrung, eine Entdeckungsreise zwischen Mythos und historischen Fakten mit vielen persönlichen Berichten, die aus verschiedenen Perspektiven und auf unterschiedlichen Plattformen erzählt werden“, erklärt Dominique Santana. „Wir haben die Öffentlichkeit miteinbezogen, um möglichst viele, unterschiedliche Berichte in das Projekt einfließen zu lassen, denn über diesen Teil unserer Vergangenheit ist noch sehr wenig bekannt.“

Haben Sie einen persönlichen Bezug zu dem Thema, oder kennen Sie Menschen, die mit der Colônia Luxemburguesa zu tun haben? Dann helfen Sie den Forschern dabei, unsere Geschichte zu erforschen, indem Sie Ihre Erinnerungen teilen! (Siehe Infobox „Wie kann ich zu dem Projekt beitragen?“)

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Wie kann ich zu dem Projekt beitragen?

Auf der Internetseite www.colonia.lu wurde ein Aufruf zur Beteiligung veröffentlicht, um möglichst viele unterschiedliche Erfahrungsberichte um die Colônia Luxemburguesa in das Projekt einzubeziehen.

Private Fotos, Briefwechsel, Postkarten, Dokumente, Zeichnungen, Gegenstände, Videos, Adressen … Die Historiker sind an allem interessiert, was direkt oder indirekt mit diesem Teil der Geschichte in Verbindung steht, sei es aus Brasilien oder aus Luxemburg.

Wenn Sie Ihre Erinnerungen teilen, helfen Sie dabei, die historische Verknüpfung dieser beiden Regionen durch die Stahlindustrie zu rekonstruieren. Außerdem tragen Sie zur größten jemals erstellten digitalen Archivsammlung der gemeinsamen luxemburgisch-brasilianischen Geschichte bei.

Die Dokumentation möchte die historischen Bande zwischen Luxemburg und Brasilien neu knüpfen und stärken. Das Projekt lässt ein Jahrhundert geteilter Geschichte zwischen dem Erzrevier und dem Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien wieder aufleben - in einer interaktiven Erfahrung zum Mitmachen und im Rahmen eines Porträts dieser ungewöhnlichen Kolonie, die die Stahlindustrie geschaffen hat.

Die Dokumentation ist eine Zusammenarbeit zwischen Samsa Film, dem Centre national de l’Audiovisuel (CNA) und dem Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) der Universität Luxemburg. Sie wird vom Film Fund Luxembourg und Esch2022 unterstützt.

Nutzung neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse in Digital Public History

Dieses innovative und interdisziplinäre Forschungsprojekt ist Teil der Doktorarbeit der jungen Wissenschaftlerin Dominique Santana, die vom Fonds National de la Recherche unterstützt wird und gemeinsam von der Universität Luxemburg und der Universität São Paulo betreut wird. „A Colônia Luxemburguesa“ folgt neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen in Digital Public History zur öffentlichen Verbreitung und dem gesellschaftlichen Engagement von Geschichte im digitalen Zeitalter.

 

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Interaktive und technische Aspekte des Projekts

Das transmediale 360°-Projekt umfasst in seiner Erzählstruktur verschiedene Medien und Plattformen. Es sind einerseits eine Projekt-Internetseite mit einer interaktiven Dokumentation und einer Crowdsourcing-Plattform eingebunden, andererseits die zwei partizipativen physischen Plattformen „[L]aço“ in Form von einem Pavillon in Brasilien und einem in Luxemburg.  

Das Kofferwort „[L]aço“ (laço=Verbindung; aço=Stahl) bedeutet wortwörtlich „Verbindung aus Stahl“.

Das Hauptziel besteht darin, die um die Stahlproduktion entstandenen transatlantischen Bande aufzuzeigen, die über ein Jahrhundert hinweg zwischen den Bevölkerungen geknüpft wurden.

Dieser Dialog und dieser wechselseitige Austausch zwischen den Menschen und den verschiedenen Plattformen lässt Stück für Stück das ungewöhnliche Porträt der Colônia Luxemburguesa entstehen.

Hierbei handelt es sich um das erste transmediale Projekt, das im Rahmen einer geschichtlichen Dissertation entwickelt wird. Im Rahmen dieser erstmaligen Zusammenarbeit zwischen der Universität Luxemburg, Samsa Film und dem CNA entstehen Synergieeffekte zwischen wissenschaftlicher Forschung und Filmschaffenden bzw. neuen Medien. Eine komplett neue Erfahrung der Co-Kreation für alle an der Produktion beteiligten wird so ermöglicht.  

Eine emotionale Erfahrung

„Gleich zu Beginn dieses Projekts erzählter Geschichte wollte ich gern, dass zwischenmenschliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielen“, erinnert sich Dominique Santana. „Bei meinen Interviews in Brasilien, die manchmal zwei oder drei Stunden dauerten, merkte ich schnell, dass viel verloren gehen würden, wenn ich das Erzählte schriftlich zusammenfassen würde. Es gab so viele emotionale Momente, die sich bei einer Transkription in Worten nicht greifen lassen. So habe ich mich für das transmediale Format entschieden.“

Eine Entscheidung, die mehrere Herausforderungen mit sich brachte, wie Dominique Santana erklärt: „Ein solches Projekt ist nur schwer in den vier Jahren umzusetzen, die für die Dissertation vorgesehen sind. Außerdem ist ein Multimedia-Projekt in der Welt der Wissenschaft noch nicht so anerkannt wie beispielsweise eine herkömmliche Veröffentlichung. Genau das würde ich aber mit meinem Projekt gern ändern. Das ist natürlich ein Risiko und eine Herausforderung, die ich annehme. Ich habe mein Ziel erreicht, wenn sowohl Historiker, Kulturschaffende als auch die breite Masse sich mit dem Projekt identifizieren können.“

Autor : Université du Luxembourg
Editor : Michèle Weber (FNR)
Video: Dominique Santana (C2DH)

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