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Sprachen sind lebendig, und sie sollten frei angewandt werden, so die Professorin für Sprachdidaktik. Der Schlüssel zum Erfolg liege dabei im so genannten „Translanguaging“, was verkürzt gesagt bedeutet: Eine Person nutzt alle ihr zur Verfügung stehenden sprachlichen Fähigkeiten so, wie es in der jeweiligen Situation am ergebnisorientiertesten ist – und das idealerweise von der Kindheit an.
Kreativer Umgang ohne Perfektionsdruck
Translanguaging steht laut Claudine Kirsch für einen Paradigmenwechsel: „Das Festhalten am Prinzip ,eine Person, eine Sprache’, sprich: Vater- und Muttersprache, hat sich in der Pädagogik als nicht sinnvoll heraus gestellt, wenn es um die zweisprachige Erziehung im Elternhaus geht.“ Dieser Ansatz sei zu starr gewesen und habe zudem auf der Hypothese aufgebaut, dass jede Sprache gleich gut gesprochen werden müsse.
„Heute wissen wir, dass es ganz normal ist, dass man eine Sprache besser spricht als die andere und lassen dies auch zu“, so die frühere Lehrerin. Derlei Mut zur Lücke mindere den Perfektionsdruck und macht den Weg frei für einen kreativen Umgang mit Sprache – in der Familie, in der Schule, aber auch im späteren Leben. Es gehe darum, das vorhandene Sprach-„Repertoire“ dem jeweiligen „Space“ angemessen, ergo: flexibel zu nutzen.
Tendenz zu Pragmatismus bei Sprachen
„Wenn sich beispielsweise zwei Kinder in der Schule oder zwei Erwachsene in einem Meeting, die dieselbe Sprache sprechen, in einem Arbeitsprozess kurz in dieser Sprache austauschen, dann führt das oft zu besseren Resultaten – einfach, weil sie sich in der Kommunikation sicher fühlen und so auch in der Sache selbst das Maximum erreichen“, plädiert Claudine Kirsch für einen pragmatischen Ansatz.
Ohnehin gehe bei Sprachen generell der Trend zu zielführenden Pragmatismus, so Claudine Kirsch, und das aus guten Gründen: „Durch die neuen Technologien sind Sprachen rund um die Uhr zugänglich, und die Öffnung geografischer Grenzen sowie die Internationalisierung des Wirtschaftslebens haben zudem dazu geführt, dass sich heute kaum noch jemand der multilingualen Herausforderung entziehen kann.“
Konkrete Chancen und neue Horizonte
Wer diese Herausforderung annehme, der eröffne sich nicht nur neue Horizonte, sondern auch ganz konkrete Chancen. Letztere betreffen vor allem die Berufsaussichten – was die Horizonte angeht, so seien diese vielseitig: „Die Abkehr vom ,eine Person/eine Sprache’-Prinzip gilt nicht nur in der Familie und für die Erziehung von Kindern, sondern hat in der gesamten Gesellschaft und bei allen Generationen für mehr Offenheit gesorgt.“
Dabei legt Claudine Kirsch Wert auf die Feststellung, dass die neue sprachliche Offenheit kein Privileg traditionell multilingualer Länder wie Luxemburg ist: „In vielen Schmelztiegeln sind Mehrsprachigkeit und Translanguaging eine Realität, von der die Gesellschaft profitiert.“ Bildungseinrichtungen in New York, London und Berlin seien Parade-Beispiele für das neue Sprach-Denken, das sich dort auch in der Forschung niederschlage (siehe Infobox).
Autor: Sven Hauser
Foto © University of Luxembourg
Infobox
„Der ganzen Person Raum zur Entwicklung geben, damit diese ihr gesamtes Sprachrepertoire nutzen kann“: Das ist der Ansatz, den Claudine Kirsch in Sachen Pädagogik im Allgemeinen und mehrsprachiges Lernen im Besonderen vertritt. Kinder sollen dazu inspiriert werden, sich ohne Zwang und Angst auszudrücken – und können dabei auch auf neue Technologien wie die speziell entwickelte iPAD App iTEO zurückgreifen. Zudem arbeitet Claudine Kirsch mit internationalen Kollegen zusammen, wie Ofelia Garcia von der City University of New York. Diese gilt als weltweit führende Expertin für „Translanguaging“ bei Kindern.