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Kunststoff-Granulat wird aus den unterschiedlichsten Rohstoffen hergestellt

Laut einer Studie, deren Ergebnisse vor wenigen Jahren im amerikanischen Fachblatt Science Advancesveröffentlicht wurden, sind weltweit inzwischen weit mehr als acht Milliarden Tonnen Plastik im Umlauf. Nur um eine Vorstellung davon zu haben: Diese Menge entspricht dem Gewicht von mehr als 800000 Eiffeltürmen. Und das Problem ist, dass nur ein kleiner Teil dieser gewaltigen Menge recycelt wird. Am Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) befassen sich Forscher unterm anderem mit den chemischen Verbindungen der Kunststoffe, den Polymeren. Einer von ihnen ist Daniel Schmidt, Leiter der noch recht jungen Green Polymers Group. Im Gegensatz zu den Polymeren aus petrochemischen Rochstoffen werden Grüne Polymere aus nachwachsenden Rohstoffen wie beispielsweise Zellulose oder Maisstärke gewonnen und deshalb auch als biologisch basierte Polymere bezeichnet.

Daniel, du leitest die Abteilung „Green Polymers“. Sind Grüne Polymere die Lösung des Problems?

 

Nun, die bessere Bezeichnung wäre eigentlich „nachhaltige Polymere“. Denn „Green“ bedeutet normalerweise, dass es sich um biologisch basierte Polymere handelt. Für mich stellt sich aber die Frage, ob ein Material, dass auf Öl basiert, aber mehrfach verwendet werden kann, am Ende nicht genauso gut ist. Denn nur weil etwas biologisch hergestellt wurde, muss es am Ende nicht besser sein, weil beispielsweise der Lebenszyklus viel kürzer ist. Das ist auch der Fokus meiner Forschungsgruppe: Wir wollen Wege finden, mit denen man polymere Materialien generell nachhaltiger wiederverwenden oder recyceln kann.

Das heißt?

 

Es könnte bedeuten, dass wir neue Recycling-Techniken entwickeln. Es könnte bedeuten, dass wir Plastik aus anderen, völlig neuen Rohstoffen herstellen. Es könnte aber auch heißen, dass wir Wege finden, mit denen wir die Nutzungsdauer verlängern, oder aber den Kunststoff zumindest so produzieren, dass er sich nach der einen Anwendung mit verhältnismäßig wenig Aufwand für eine andere Anwendung umwandeln lässt. Es könnte darüber hinaus aber auch bedeuten, dass man gängiges Plastik, das bislang nicht zu recyceln war, nun wiederverwertbar macht. Und es könnten nicht zuletzt auch andere Möglichkeiten sein, über die man bislang vielleicht noch nicht nachgedacht hat?

Zum Beispiel?

 

Nehmen wir zum Beispiel Windräder, bei denen wir eine durchaus absurde Situation haben: Die Rotoren sind aus glasfaserverstärkten Epoxidharz. Epoxidharz ist ein sehr hartnäckiges Material, das sich nur schwer lösen oder zerlegen lässt. Um die Rotorblätter möglichst stabil zu machen, wird entsprechend viel davon genutzt. Durch das Repowering, also das technische Aufrüsten der Anlagen nach einer gewissen Laufzeit, werden diese Rotoren dann durch neuere ersetzt. Übrig bleiben also gewaltige Rotorblätter aus einem Material, das sich weder einschmelzen noch auflösen lässt und auch so stark ist, dass es sich kaum zermahlen lässt. Was also macht man damit?

Man könnte die Teile natürlich noch verbrennen. Aber wir können nicht auf der einen Seite durch den Bau der Windräder auf nachhaltige Energie setzen und danach dann die ganzen Materialien einfach entsorgen, weil sie sich nicht anders nutzen lassen. Das kann es ja nicht sein. Vor allem, wenn man bedenkt, mit welchem Aufwand dieser Rotorblätter hergestellt werden. Das ist reine Handarbeit und ein extrem langer Prozess. Man steckt also sehr viel Energie in die Herstellung.

Was wäre die Lösung?

 

Wir hatten dazu im Team drei Doktoranden, die sich damit befasst haben: Der erste sollte einen Ersatz für das Epoxidharz auf pflanzlicher Basis finden, der aber die gleichen Eigenschaften hat wie das Kunstharz auf Rohölbasis. Der zweite Student sollte daraus dann Verbundwerkstoffe entwickeln.

Ein Verbundwerkstoff oder Kompositmaterial ist eine Verbindung von zwei Materialien mit unterschiedlichen physiko-chemischen Eigenschaften. Kombiniert ergeben sie ein neues Material mit besonderen Eigenschaften, das bestimmte Zwecke erfüllt, zum Beispiel leichter, stärker oder leitfähiger ist.

Und Aufgabe des dritten Doktoranden war es, das Epoxidharz recyclingfähig zu machen. Indem er beispielsweise das Material zermahlt und erhitzt, um daraus ein neues Teil zu machen, oder aber das Epoxidharz isoliert, um es wiederverwerten zu können. Und alle drei haben Lösungen gefunden. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten.

Und was ließe sich dann aus einem Rotorblatt machen?

 

Meine Wunschvorstellung wäre die: Man nimmt ein ausgedientes Rotorblatt und fertig daraus zum Beispiel Fahrzeugtüren. Man schneidet also mit Hilfe eines Schneidegeräts ein Stück in den gewünschten Maßen heraus und erhitzt es dann ein wenig, um es noch in die gewünschte Form zu bringen. Und danach sieht es so aus, als wäre es nie etwas anderes gewesen. Der Reiz dieser Idee ist, dass man die Kompositmaterialien nicht auflösen oder zerkleinern muss, um daraus etwas Neues zu machen, sondern sie stattdessen einfach so nutzt wie sie sind.

Das gleiche gilt auch für Flugzeuge: Um sie effizienter zu machen, kommen immer mehr Kompositmaterialien zum Einsatz. Die machen das Flugzeug zwar leichter, sind aber schwerer zu recyceln. Wenn man Aluminium verwendet, ist Recycling kein Problem, bei Verbundmaterialien aber durchaus. Man löst also ein Problem, verursacht aber dabei aber ein nächstes. Bei Carbonfasern ist es ähnlich. Carbon ist ein tolles Material für den Automobilbau, weil es leicht ist. Wenn es beschädigt wird, lässt es sich aber nur schwer reparieren. Und es ist darüber hinaus auch sehr teuer.

Carbon lässt sich also nicht recyceln?


Doch durchaus. Wenn ein Teil aus Carbon bricht, werden dabei ja nicht alle Fasern zerstört. Wir haben durch unsere Forschung gezeigt, dass wir in der Lage sind, die intakten Carbonfaser wiederzuverwerten.  Und nicht nur das: Durch unseren Recyclingprozess wurde das Carbon sogar noch widerstandsfähiger als es vorher war. Wenn so etwas funktioniert, dann wird das Material deutlich nachhaltiger und auch günstiger, weil man es dann immer wieder verwenden kann. Und das ist etwas, womit wir uns in unserer Gruppe noch mehr befassen wollen.

Daniel Schmidt ist Leiter der Green Polymers Group am LIST

Benötigen wir überhaupt noch weitere, wenn auch pflanzenbasierte Polymere? Sind nicht eigentlich bereits genug Polymere im Umlauf, die man eben nur recyceln müsste?

 

Mit Blick auf die absolute Menge könnte es tatsächlich reichen. Und für bestimmte Anwednungen ist mit Sicherheit ausreichend Material im Umlauf. Aber wenn man beispielsweise die ganzen Metallkomponenten in Fahrzeugen durch andere Stoffe ersetzen möchte, wird das, was jetzt vorhanden ist, nicht reichen. Zudem sind längst nicht alle Polymere dazu geeignet, für andere Anwendungen genutzt zu werden als für die, für die sie einst produziert wurden. Entscheidend ist, sich bereits bei der Herstellung Gedanken über die Nachhaltigkeit und Wiederverwendbarkeit der Materialien zu machen.

Der Einsatz von Kunststoffen an sich ist also nicht das Problem?

 

Nein, es ist vor allem die Art und Weise, wie wir es tun. Wenn etwas nur für eine ganz kurze Lebensdauer konzipiert ist, sollten wir uns unabhängig vom Material immer die Frage nach der Nachhaltigkeit beziehungsweise Wiederverwertbarkeit stellen, denn ansonsten verschwenden wir Ressourcen. Nehmen wir zum Beispiel die Einkaufstasche: Einwegtüten aus Plastik sind nicht gut. Verwenden wir aber eine wiederverwertbare Plastiktüte, so ist die Situation eine ganz andere, weil ihr Lebenszyklus viel länger ist. Ein grundsätzliches Problem ist, dass wir beim Einkauf nur für den Produktionsaufwand zahlen, nicht aber für den gesamten Lebenszyklus bis zum Ende.

Interview: Uwe Hentschel

Fotos: Shotshop, Uwe Hentschel

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