© Uwe Hentschel
In der visuellen Einordnung ihrer Umwelt halten es die Dani recht einfach. Die Dani sind ein indigenes Volk in Neuguinea, die das, was sie sehen, nicht nach Farben sortieren so wie wir das tun, sondern lediglich zwischen hell und dunkel unterscheiden. Die Himmel ist also nicht blau, sondern entweder mola (hell) oder mili (dunkel).
Das bedeutet zwar nicht, dass für die Dani hellgrün das gleiche ist wie hellblau, wohl aber, dass sie sich schwerer damit tun, den für uns offensichtlichen Farbunterschied zu erkennen. Die Dani kategorisieren ihre Umwelt also anders als wir. Um zu sehen, inwieweit so etwas die Wahrnehmung beeinflusst, muss man allerdings nicht bis Neuguinea reisen. Solche Unterschiede findet man auch in Europa.
Erst durch das Erlernen von Sprache wissen wir, wozu sie dient
Im Russischen beispielsweise gibt es nicht die Farbe blau. Dort wird mit zwei verschiedenen Wörtern zwischen Hellblau (goluboi) und Dunkelblau (siniy) unterschieden. Und wie Versuche gezeigt haben, sind russische Muttersprachler dadurch in der Lage, Unterschiede zwischen einem eher hellen und einem eher dunklen Blauton schneller zu erkennen als Englischsprachige.
„Die Farben haben in verschiedenen Sprachen je unterschiedliche Bezeichnungen, und deshalb werden sie auch unterschiedlich wahrgenommen“, sagt Sprachwissenschaftlerin Constanze Weth vom Institut für Mehrsprachigkeitsforschung (MLing) der Uni Luxemburg. Doch beschränke sich der Einfluss der Sprache längst nicht nur auf die Wahrnehmung der Farben, wie Weth erklärt. „Wir interpretieren unsere Umwelt auch anders, je nachdem ob wir schreiben und lesen können oder nicht.“ Einfachstes Beispiel dafür ist die Einheit „Wort“ selbst. „Was ein Wort genau ist, wird uns erst richtig bewusst, wenn wir lesen und schreiben lernen“, sagt sie.
Umwelt wirkt sich umgekehrt aber auch auf die Sprache aus
Zudem helfe Sprache dabei, den Unterschied zwischen der Struktur eines Wortes und dem, wofür es steht, zu erkennen, erklärt Weth. „Fragt man kleine Kinder, welches der beiden Wörter länger ist, Kuh oder Regenwurm, so antworten die meisten mit Kuh, weil die nun mal viel größer ist als der Regenwurm“, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Erst durch das Erlernen schriftlicher Sprache seien Kinder in der Lage, zwischen sprachlicher Struktur wie zum Beispiel Wortlänge und Bedeutung eines Wortes wie zum Beispiel der Größe eines Tieres zu differenzieren.
So, wie die Sprache die Wahrnehmung unserer Umwelt beeinflusst, wirken sich umgekehrt aber auch äußere Faktoren zunehmend auf unsere Wahrnehmung der Sprache aus. Als Beispiel nennt Weth die Rechtschreibung in Chats, Email oder Kurznachrichten. „Noch vor wenigen Jahren dachte man beim Schreiben von Briefen im Grunde nur den formellen Stil, und die geschriebene Sprache war assoziiert mit Normen wie der Rechtschreibung, der Form wie Datum und Anrede angeordnet sind etc.“, sagt sie. „Wenn wir heute mit Freunden, aber auch mit Kolleginnen und sogar Behörden schriftlich kommunizieren, dann ist das oft viel lässiger und ähnelt mündlicher Kommunikation.“
Auch Emojis werden unterschiedlich gedeutet
Entsprechend habe sich auch der Umgang mit der Rechtschreibung verändert. Während früher viel Wert auf richtige Orthografie gelegt worden sei, spiele diese eine immer geringere Rolle. Eine Kurznachricht mit Rechtschreibfehlern sei also nicht zwangsläufig ein Indiz für fehlende Orthografie-Kenntnisse des Verfassers, so Weth. Es könne genauso gut ein Hinweis darauf sein, dass der Absender sehr beschäftigt ist und deshalb keine Zeit hat, auf Feinheiten zu achten.
„Die Wahrnehmung verändert sich, genau wie die Codes in der Sprache“, erklärt die Linguistin. So werden Textnachrichten gerne mit Emojis versehen, damit der Empfänger auch versteht, wie etwas gemeint ist. Doch Vorsicht: Auch bei den Emojis gibt es kulturelle Unterschiede. Das Emoji „Daumen hoch“ ist bei uns ein Ausdruck für volle Zustimmung und Anerkennung. Im mittleren Osten sowie in Teilen Afrikas jedoch gilt dieser hochgestreckte Daumen als Beleidigung.
Autor: Uwe Hentschel
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