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2008 ging er nach Großbritannien, um an der Royal Holloway, University of London Englisch zu studieren. Und eigentlich wollte Claude Fretz nach dem Studium wieder zurück in die Heimat kommen, um dort Lehrer zu werden. Doch der Luxemburger wurde vom Shakespeare-Fieber erfasst, blieb deshalb auf der Insel. Inzwischen ist er Forschungsmitarbeiter der Queen’s University Belfast, wo er sich auch weiterhin mit Shakespeare befasst.
Claude, du arbeitest aktuell an dem Projekt „Performing Restoration Shakespeare“. Worum geht es dabei?
Der Begriff Restoration, also Restauration, bezieht sich auf die Wiederherstellung der englischen Monarchie im Jahr 1660. Sie folgte einer republikanischen Regierungszeit, dem sogenannten Commonwealth, das 1649 mit der Hinrichtung von König Charles I. begann. Das Projekt „Performing Restoration Shakespeare“ befasst sich mit der Aufführung von Shakespeares Stücken während dieser Zeit (1660 bis 1714).
Es handelt sich dabei um eine Zusammenarbeit zwischen Akademikern und Künstlern aus den Bereichen Theater und Musik. Wichtig ist, dass das Projekt nicht nur untersucht, wie und warum diese Restaurationsadaptionen von Shakespeare in ihrer eigenen Zeit erfolgreich waren, sondern auch, wie man sie heute erfolgreich aufführen könnte.
Wo liegt denn der Unterschied zwischen den Shakespeare-Aufführungen der Restauration und den Original-Aufführungen?
Das Faszinierende an der Restauration war, dass damals nach fast 20 Jahren zum ersten Mal wieder Theatereinrichtungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Und als die Theatergruppen Shakespeares Werke inszenierten, veränderten sie so ziemlich alles.
Die vielleicht bahnbrechendste Veränderung zu dieser Zeit war die Einführung weiblicher Schauspieler. Während zu Shakespeares Zeiten auch die weiblichen Rollen mit männlichen Schauspielern besetzt wurden, spielten jetzt Schauspielerinnen die weiblichen Rollen - und mitunter sogar männliche. Und die Innentheater der Restauration waren zudem technisch weitaus fortgeschrittener und anspruchsvoller als die Theater zu Shakespeares Zeit um 1600.
Inwiefern?
Sie wurden zum Beispiel mit beweglicher Landschaft ausgestattet. Und es gab Geräte mit Seilen und Drähten, die Effekte wie das Fliegen auf der Bühne ermöglichten. Auch Gesang, Musik und Tanz spielten in den Restaurations-Aufführungen eine viel größere Rolle, weshalb sie manchmal auch als Halbopern oder dramatische Opern bezeichnet werden. Aus diesem Grund gibt es in unserem Projektteam auch eine Musikwissenschaftlerin.
Wurden auch die Inhalte der Werke verändert?
Absolut! Die veränderte politische Situation machte es zunächst notwendig, dass Shakespeares Stücke grundlegend umgeschrieben wurden. In The Tempest zum Beispiel wurden die angedrohte Machtergreifung und Rebellion gegen einen Machthaber gedämpft beziehungsweise entschärft. Und Richard III wurde als eine tragikomische Geschichte über einen gescheiterten Commonwealth-Tyrannen neu gefasst. In der Tat wurden aus einem Großteil von Shakespeares Geschichten und römischen Tragödien eher politische Kommentare.
Es gab also eine Anpassung an die politischen Gegebenheiten...
Ja, aber nicht nur das. Die neuen Geschmäcker und Erwartungen der Theaterbesucher forderten auch tragikomische Handlungen, mehr Sentimentalität und poetische Gerechtigkeit. King Lear zum Beispiel überlebte jetzt.
Die Restaurations-Dramaturgen schrieben auch viel von Shakespeares figurativer und mehrdeutiger Sprache um, um sie klarer und verständlicher zu machen. Und es gab auch Änderungen, um mehr Lieder und Musik in die Texte zu bauen, aber auch um neue weibliche Rollen hinzuzufügen: Miranda in The Tempest hatte jetzt eine Schwester.
Beschränkt sich der Nutzen dieses Projekts nur auf die Wissenschaft, oder profitieren davon auch künstlerisch tätige Akteure?
Und wie geht es weiter?
Nun, unser langfristiges Ziel ist es, Restaurationsversionen von Shakespeare für Theater und Publikum des 21. Jahrhunderts attraktiv zu machen. Wir hoffen daher, dass unsere Arbeit die Bandbreite der Theatererfahrungen für die Öffentlichkeit erweitern wird.
Weitere Infos zu Claude Fretz und das Projekt Performing Restoration Shakespeare
Interview: Uwe Hentschel, Claude Fretz
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Infobox
Neben dem Forschungsprojekt arbeitet Claude Fretz gerade an einem Buch, das auf seiner Doktorarbeit basiert und in dem er darlegt, wie Shakespeare in seinen Stücken Träumereien und Schlaf verwendet. Zu diesem Zweck erforscht der Literaturwissenschaftler, wie Träume und Schlaf im 16. und frühen 17. Jahrhundert verstanden wurden.
„Dank Freud verbinden viele von uns Träume mit dem Unterbewusstsein. Aber zu Shakespeares Zeit existierten diese Ideen natürlich noch nicht. Im frühneuzeitlichen England konnten Träume nicht nur körperliche oder geistige Ursprünge haben, sondern sie konnten auch durch Umweltkräfte - einschließlich der Sterne und der Jahreszeiten - oder durch Gott, Engel oder Dämonen erschaffen werden“, erklärt Claude Fretz. „Aufgrund dieser verschiedenen Möglichkeiten waren die Bedeutungen und Ursprünge von Träumen höchst unsicher. So konnten Träume im Grunde alles bedeuten. Für Shakespeare und andere Dramatiker eröffnete diese Ungewissheit alle möglichen faszinierenden dramatischen Möglichkeiten.