(C) shotshop

Gefährden wachsende Einkommensunterschiede in einer Gesellschaft das Vertrauen der Bürger untereinander und damit den sozialen Zusammenhalt? Jüngste Forschungen scheinen diese populäre Ansicht zu untermauern. Eine Studie der Universität Luxemburg widerspricht dem jedoch.

Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und Vertrauensverlust auf viele Gründe zurückzuführen

Wie eine Untersuchung von Ökonomen der Universität Luxemburg zeigte, kann der vermeintliche Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und Vertrauensverlust auf viele andere Gründe zurückgeführt werden. „Wir fanden einige vorher wenig beachtete Elemente, die für den direkten Zusammenhang verantwortlich sein könnten“, so Dr. Javier Olivera von der Universität Luxemburg.

Der Wissenschaftler untersuchte ausführliche Daten des „European Social Survey“ über Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensmustern von rund 270.000 Personen über eine zehnjährige Zeitspanne (2002 bis 2012) in 34 europäischen Ländern.

Hoch entwickelte statistische Verfahren widerlegen populäre Ansicht

Dabei fand auch er zunächst einen Zusammenhang zwischen wachsender Einkommensungleichheit und generellem Verlust von Vertrauen. Mit Hilfe hoch entwickelter statistischer Verfahren gelang es ihm jedoch, andere beeinflussende Faktoren aus der Analyse zu nehmen.

Das Ergebnis: Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und dem Vertrauensniveau in einer Gesellschaft.

Vertrauen hängt von gesellschaftlichen Werten und Ereignissen ab

Was Vertrauen hingegen mit Abstand am meisten beeinflusste, waren Annahmen über die Werte einer Gesellschaft. „Gewiss beobachtet man in Skandinavien eine große Einkommensgleichheit und starkes Vertrauen und das Gegenteil in Griechenland, Spanien und Portugal. Meine Untersuchung zeigt jedoch,  dass das eine nicht Ursache des anderen ist“, erklärt Dr. Olivera. „Der Zusammenhang könnte vielmehr auf die Gegebenheiten und die Einstellungen der Menschen gegenüber Einrichtungen, sozialen Normen, dem Rechtssystem, der Kultur oder der Politik zurückzuführen sein.“

So hänge Vertrauen auch davon ab, wie gesellschaftliche Ereignisse wahrgenommen werden. Zum Beispiel könnten hohe Kriminalitätsraten und eine schlechte nationale Wirtschaftsleistung zu Vertrauensverlust innerhalb der Gesellschaft führen.

Exakte Ergebnisse bedürfen weiterer Forschung

Dr Olivera räumt ein, dass weitere Forschungsarbeiten nötig sind, um Schlussfolgerungen über einen längeren Zeitraum als die hier untersuchten zehn Jahre zu bestätigen. „Dieser Artikel ist kein abschließender Beweis, aber er lässt starke Zweifel an der Ansicht aufkommen, dass Vertrauen und Einkommensungleichheit eng verknüpft sind“, so Dr. Olivera abschließend.

Foto © shotshop.com

Infobox

Publikation

Der wissenschaftliche Artikel “Changes in Inequality and Generalized Trust in Europe” von Javier Olivera wurde in Social Indicators Research von Springer Science & Business Media publiziert. Das Abstract der Publikation kann hier eingesehen werden.

Kontakt 

Ansprechpartner für Journalisten:
Dr. Javier Olivera, javier.olivera@uni.lu, T: +352 46 66 44 – 9422

Auch interessant

Stand der Wissenschaft Verstärken sich die Ungleichheiten in Luxemburg?

Vermögensungleichheiten sind in Europa viel stärker ausgeprägt als Einkommensungleichheiten, die in den letzten 20 Jahre...

Neues aus der Wissenschaft Die wichtigsten Neuigkeiten aus der Forschung in Luxemburg - Mai 2022

Körperliche Aktivität reduziert den Schweregrad von COVID-19 und bald werden Satelliten in der Lage sein, selbstständig ...

Arbeitsmarkt Wie bestimmte Faktoren die Chance auf eine erfolgreiche Bewerbung beeinflussen

Wenn eine Phase der Arbeitslosigkeit im Lebenslauf auftaucht, kann das die Jobsuche erschweren, muss aber nicht. Entsche...

Auch in dieser Rubrik

Meisterwerk in der Nationalbibliothek Eine tausend Jahre alte Riesenbibel kehrt heim

Die Luxemburger Nationalbibliothek hat ein wertvolles historisches Kulturerbe aus dem frühen Mittelalter erworben: eine reich illustrierte Riesenbibel, die vermutlich zwischen 1080 und 1085 entstand....

BnL
Menschen, die der Generation 50+ angehören
GESELLSCHAFT UND ALTERUNG Die Generation 50+ im Rampenlicht

Wie geht es der Generation 50+ bei uns? Das untersucht das luxemburgische Team von SHARE, einer langfristigen Studie, die in Befragungen Daten zur Gesundheit, zum Altern und zur Rente erhebt.

Memes und Trends Virale Online-Phänomene: Wie haben sie sich im Laufe der Zeit entwickelt?

Sie verbreiten sich einige Tage lang rasant und gehören fest zu unserem Alltag. Was weiß man über die Geschichte der Online-Viralität? Professorin Valérie Schafer hat sich mit dieser Frage befasst.

Chambre des Députés
Politik und Gesellschaft Europawahlen: Wertewandel im Schnelldurchlauf

Anlässlich der Europawahl zeichnete die POLINDEX-Studie 2024 ein aktuelles Bild der Sorgen, politischen Einstellungen und Wahlmotive der Menschen in Luxemburg.