Nina Janz
Nina, Du stöberst durch die Geschichte von 200 Jahren Rechtsordnung, Gerichtspraxis und der Entscheidung über Recht und Ordnung in Luxemburg. Was hast du entdeckt?
In meiner täglichen Arbeit sammle und analysiere ich relevante Dokumente im Archives National und bereite die Ergebnisse für die Digitalisierung und eine virtuelle Ausstellung vor. Ich identifiziere und suche nach Dokumenten, die neue Einblicke in die Geschichte Luxemburgs versprechen. Meine Recherchen führten mich auch in verschiedene Institutionen, um relevantes Material zu sammeln, von dem niemand wusste, dass es existiert. Die Dokumente geben verschiedene Einblicke in die Rechtsgeschichte vom frühen 19. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre. Zwischen den Seiten dieser Aufzeichnungen stoße ich öfter auf Tragödien und persönliche Geschichten von einfachen Menschen, die wegen Diebstahls, ungewöhnlichen Mordfällen oder Abtreibung verurteilt wurden. Diese Aufzeichnungen zeigen die Entwicklung des Rechtssystems in Luxemburg von der Anwendung der Todesstrafe hin zu einem modernen und liberalen Rechtsstaat.
Wenn ich solche Dokumente entdeckte, fühlte ich mich wie ein Detektiv für Geschichte und uralte Geheimnisse.
Sind diese Momente der Grund, warum Du dich für eine Karriere in der Geschichtsforschung entschieden hast?
Ja, definitiv! Forschung und Wissenschaft geben mir die Möglichkeit, meinen geschichtlichen Interessen nachzugehen und Antworten auf die vielen Fragen zu finden, die ich habe. Ich bin neugierig und entdecke gerne neue Denkweisen. In der Forschung kann ich neue Perspektiven und neue Dokumente aus der Vergangenheit erforschen, wie z. B. die die bisher unbekannten Justizakten, und daraufhin eventuell eine ganz neue Geschichte schreiben. Ich finde es faszinierend, die persönlichen Geschichten und das Schicksal dieser Menschen zu entdecken und mit unserer heutigen Gesellschaft zu teilen.
Welchen Impakt erhoffst Du dir von deiner Forschungsarbeit?
Die Geschichte ist ein unterschätztes Forschungsfeld, und viele Menschen halten diese Disziplin für überflüssig, und denken, man solle die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen usw. Aber die Straßen, in denen wir gehen, die Steine, auf die wir treten, haben eine Geschichte zu erzählen! Luxemburg ist ein kleines Land, hat aber eine lange und vielfältige Geschichte. Unsere Aufgabe ist es, diese Geschichten zu erzählen.
Im C²DH ist es mein Hauptziel, Kenntnisse über das Rechtssystem in den Geisteswissenschaften zu verankern. Meine Kollegen und ich haben es uns zur Aufgabe gemacht die Errungenschaften der Demokratie und eines unabhängigen und fairen Gerichtssystems in Luxemburg sowie das Verständnis für die lange Tradition von Recht und Ordnung in unserer westeuropäischen Welt aufzuzeigen. Wir möchten die lange und vielfältige Geschichte der verschiedenen Justizorganisationen hervorheben, wie z. B. die Umsetzung des Zivilgesetzbuches oder der Cour d'assises in Luxemburg.
Zweitens, wenn ich relevante Dokumente finde und sie Forschern und anderen interessierten Personen zur Verfügung stelle, entwickle ich gleichzeitig Strategien um den Zugang und die Inventarisierung der Akten durch Digitalisierungsprozesse zu verbessern.
Gibt es neben der Entdeckung von Rechtsakten noch andere Highlights in deiner Forscherkarriere, von denen Du uns erzählen möchtest?
Bevor ich nach Luxemburg kam, arbeitete ich als Archivarin im Deutschen Bundesarchiv, in Koblenz und Berlin sowie im Militärarchiv in Freiburg. Hier habe ich Anfragen und Recherchen zur Wehrmacht, zum Zweiten Weltkrieg und zum Schicksal von Kriegsgefangenen und anderen NS-Opfern bearbeitet. Ich unterstützte außerdem Projekte zur Digitalisierung und Bewahrung von Dokumenten und arbeitete in einem Projekt des Deutschen Historischen Moskau zur Digitalisierung von Akten sowjetischer Kriegsgefangener.
Nach meiner Karriere im Archiv promovierte ich an der Universität Hamburg in Kulturanthropologie über die Auswirkungen von Tod und Gewalt und die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der Nachkriegszeit in Deutschland und Russland. Anhand von Soldatengräbern untersuchte ich den Stellenwert des Kriegstodes in der Vergangenheit und der heutigen Gesellschaft. Meine Forschungen führten mich auf zwei verschiedene Kontinente, nach Eurasien (Russland) und Amerika (USA). Ich habe die Möglichkeit bekommen, große Exkursionen durch Russland zu unternehmen. Ich reiste von St. Petersburg über Moskau, zum Don und dann nach Westsibirien. Die Menschen, die ich traf, die Informationen, die ich für meine Dissertation sammeln konnte und natürlich die weite und schöne Landschaft Russlands haben mich sehr beeindruckt!
Warum hast Du dich entschieden, deine Karriere in Luxemburg fortzusetzen?
Die Universität Luxemburg ist noch eine junge Universität und die akademische Tradition noch ein fast leeres Blatt. Neue Projekte, neue Denkweisen sind möglich. Hier kann man mit neuen Ansätzen experimentieren, oder, wie es das C2DH macht, in die digitale Geschichte eintauchen und traditionelle Forschung mit Technologie verbinden.
Aufgrund der geringen Landesgröße sind die Wege in der Bürokratie kürzer, die Kommunikationswege sind einfacher als in größeren Ländern wie z. B. in Deutschland. Man kann Menschen, auch Minister und den Generalstaatsanwalt selbst, erreichen um eigene Forschungsergebnisse zu diskutieren oder Einblicke in deren Arbeit zu erhalten.
Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit als Postdoc von der als Doktorand?
Die Arbeit als Postdoc bringt mehr Freiheit und Unabhängigkeit mit sich. Das Projekt ist umfangreicher, und ich arbeite in einem Team, was es nicht so einsam macht wie die Dissertation. Ich arbeite mit zwei weiteren Forschern zusammen; wir müssen unser Verfahren und die Ergebnisse koordinieren und diskutieren. Ich fühle mich nicht mehr wie eine Einzelkämpferin und ich genieße die Diskussionen und anregenden Gespräche. Mit mehreren Köpfen können wir mehr erreichen als es ein einzelner Forscher vermag - und die Ergebnisse unseres Projekts sind vielfältiger und kreativer.
Wir bedanken uns herzlichst für diesen spannenden Einblicke in Deine Arbeit.
Fragen und Überarbeitung: Emily Iversen (FNR) und Michelle Schaltz (FNR)