(C) Uwe Hentschel
„Die eigene Identität ist nicht etwas fixes, sondern etwas, das veränderbar ist und das auch mit dem Raum zusammenhängt“, sagt Sonja Kmec. Und sie erläutert es an einem recht einfachen Beispiel: „Wenn man als junge Frau nachts auf dem Heimweg von einer Bar alleine durch den Park geht, dann sieht man sich als Frau. Kurz zuvor in der Bar unter Freunden jedoch hat man sich noch als junger Mensch gesehen.“
Sonja Kmec ist Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin an der Uni Luxemburg. Gemeinsam mit der Kulturanthropologin Rachel Reckinger, dem Geografen und Raumplaner Markus Hesse sowie dem Sozial- und Kulturwissenschaftler Christian Wille hat sie das Buch „Räume und Identitäten in Grenzregionen“ veröffentlicht. Darin zusammengefasst sind die Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojekts „IDENT2 – Regionalisierungen als Identitätskonstruktionen in Grenzräumen“. Mehr als 30 Wissenschaftler der Uni Luxemburg waren an dem dreijährigen Forschungsprojekt beteiligt.
Grenzen beeinflussen die Rahmenbedingungen, aber nicht den Raum
Im Fokus stand dabei die Großregion, in der wir leben und die aus Lothringen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Wallonien und nicht zuletzt Luxemburg besteht: die Großregion SaarLorLux. Innerhalb dieser Region verlaufen viele Grenzen. Grenzen, die täglich überquert werden. Grenzen, die eigentlich kaum einen interessieren.
Die Teilstudien des Projekts haben dabei völlig unterschiedliche Lebensbereiche unter die Lupe genommen. Ein Doktorand hat beispielsweise am Beispiel von Biogasanlagen untersucht, inwieweit sich die Nutzung und Erzeugung erneuerbarer Energien in Rheinland-Pfalz und in Luxemburg aufgrund der jeweiligen Energiepolitik des Landes voneinander unterscheiden. Er hat festgestellt, dass politische Rahmenbedingungen die Arbeit auf beiden Seiten der Grenze erschweren, aber auch, dass die Biogaserzeuger meistens Lösungen für ihre lokale Situation finden und dass die Luxemburger und Rheinland-Pfälzer dabei voneinander lernen.
Andere Forscher haben untersucht, inwieweit sich die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg in den Teilregionen voneinander unterscheiden, und wieder ein anderer hat am Beispiel der Grafschaft Vianden gezeigt, wie Burgen in der Geschichte als Instrument der „herrschaftlichen Raumkonstruktion“ genutzt wurden. Die Ergebnisse der insgesamt 19 Teilstudien im Band bestätigen den modernen Ansatz: Räume und Identitäten sind flexibel und veränderbar. Und sie sind das Ergebnis von gesellschaftlichen Prozessen.
Nationalitäten spielen eine untergeordnete Rolle
„Die Idee war die, Luxemburg nicht in seinen staatlichen Grenzen, sondern als Grenzgebiet und Kontaktzone zu definieren, um zu sehen, inwieweit die Menschen in der gesamten Region ähnlich überlegen. Oder auch nicht“, sagt Sonja Kmec. Also weg von den politisch definierten Räumen und Ländern zu den Räumen, in denen die Menschen wohnen, in denen sie arbeiten und in denen sie sich bewegen. In denen sie aber auch täglich – bewusst oder unbewusst - Grenzen überqueren.
„In Grenzregionen wird deutlich, dass die Idee eines Territoriums neben dem anderen nicht funktioniert, weil die Lebensbereiche grenzüberschreitend sind“, sagt Sozialwissenschaftler Christian Wille. „Es geht immer darum, von A nach B zu kommen“, fügt er hinzu, „und da spielen nationale Grenzen keine Rolle mehr.“ Genauso wenig wie Nationalitäten, erklärt Wille. Denn die Idee der fest definierten Räume und Identitäten habe die moderne Sozial- und Kulturwissenschaft längst hinter sich gelassen.
Autor: Uwe Hentschel
Foto: Uwe Hentschel