© University of Luxembourg
Für Claudine Kirsch sind die Ergebnisse der Studie beunruhigend. Vor allem auch deshalb, weil der überwiegende Teil der Befragten über einen hohen sozioökonomischen Status verfügte. „Wenn also bereits 20 bis 25 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen angeben, dass sie im Home Schooling oft Probleme haben, die Aufgabenstellung richtig zu verstehen, dann stellt sich für uns die Frage, wie schlimm die Situation wohl für diejenigen ist, deren sozioökonomischer Hintergrund nicht so hoch ist“, sagt Kirsch. Sie ist Professorin für Sprachwissenschaften an der Uni Luxemburg und zudem Leiterin des Projekts COVID-Kids – ein Projekt, das sich mit dem Wohlbefinden und den Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen während der ersten Pandemie-Welle im vergangenen Jahr befasst. In diesem multidisziplinarischen Team arbeiten außerdem Prof. Pascale Engel de Abreu (Universität Luxemburg) sowie Sascha Neumann von der Eberhard Karls Universität Tübingen.
Was wurde in der Studie genau untersucht?
Im Zeitraum zwischen Anfang Mai und Mitte Juli 2020 haben dafür über 3000 Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren aus Luxemburg, Deutschland, der Schweiz und Brasilien an einer Online-Befragung teilgenommen, davon 711 aus Luxemburg. Neben allgemeinen Informationen zu ihrer Person sollten die Teilnehmer dabei Angaben zur Schule und dem Leben im Allgemeinen vor und während der Pandemie machen. Ergänzend dazu wurden auch noch 22 Acht- bis Sechzehnjährige interviewt. „Wir wollten herausfinden, wie Kinder mit dieser besonderen Situation zurechtkommen und welche Faktoren dabei ihr Wohlbefinden beeinflussen“, erklärt die Projektkoordinatorin.
Auf Grundlage eines Modell-Ansatzes der UNICEF (multi-level approach model), wonach das Wohlbefinden von Kindern durch verschiedene Faktoren aus unterschiedlichen Bereichen wie etwa Aktivitäten, Beziehungen, Ressourcen oder Politik beeinflusst wird, wurden dabei 20 potenzielle Faktoren untersucht. Von denen wiederum waren für die Forscher des COVID-Kids-Projekt vier von besonderer Bedeutung: 1. der Schwierigkeitsgrad und die Menge der Schularbeit während des Fernunterrichts, 2. der Inhalt der Schularbeit während des Fernunterrichts, 3. die Angst, krank zu werden, und 4. die Zufriedenheit mit der Art und Weise, wie Erwachsene den Kindern zuhören. „All das sind Faktoren, die wir als Schule und Eltern beeinflussen können“, sagt Kirsch.
Wohlbefinden und Zufriedenheit mit der Schule spürbar gesunken
Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass die Pandemie bereits in der ersten Welle deutliche Spuren hinterlassen hat. Während die Lebenszufriedenheit vor der Pandemie von 96 Prozent der Befragten als gut bis sehr gut beschrieben wurde, sank diese Einschätzung des Empfindens während der Pandemie auf 67 Prozent. Nicht ganz so stark, aber dennoch signifikant gesunken ist auch die Zufriedenheit mit der Schule. Bei den Kindern in den Grundschulen sank dieser Wert von 91 auf 76 Prozent, bei den Jugendlichen der weiterführenden Schulen ging er von 84 auf 62 Prozent zurück.
Claudine Kirsch ist Leiterin des Projekts COVID-Kids
Zudem stellten Kirsch und ihre Forschungskollegen fest, dass bei es bei den Einschätzungen des Wohlbefindens auch tendenzielle Unterschiede gab. So fühlten sich ältere Kinder insgesamt weniger wohl als jüngere, Mädchen weniger wohl als Jungen und Kinder mit geringem sozioökonomischen Hintergrund weniger wohl als Kinder aus sozioökonomisch besser gestellten Haushalten. Ein weiteres Ergebnis der Befragung ist, dass mehr als ein Drittel der Kinder und Teenager Angst hatte, dass sie selber oder ein Bekannter an Covid-19 erkranken könnten, und annährend genauso viele in Sorge waren, dass ein Angehöriger krank werden könnte.
Kinder und Jugendliche bei politischen Entscheidungen stärker berücksichtigen
Eltern, die die Sorgen der Kinder ernstnehmen und ihnen zuhören, können demnach also zum Wohlbefinden beitragen, ebenso wie auch die Schulen, indem sie auf die Probleme reagieren, die im Zusammenhang mit dem Fernunterricht entstehen. Die Forscher sehen aber auch die Politik in der Pflicht. So werden zum Beispiel fortlaufende Förderprogramme gefordert, um die Lernverluste und zu befürchtenden Bildungslücken zu kompensieren. Zudem sollten bei jeder politischen Entscheidung und jedem Gesetz im Zusammenhang mit der Pandemie auch die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche berücksichtigt werden.
Kirsch und ihre Teamkollegen wollen das Forschungsprojekt gerne weiterführen, sind dafür aber auf Unterstützung angewiesen. Ein entsprechender Forschungsantrag ist auf dem Weg, und die Projektleiterin hofft, dass er bewilligt wird. „Wir sind ein recht kleines Team und konnten das Projekt letztlich nur deshalb realisieren, weil wir durch die Œuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte, die Gruppe Foyer und UNICEF unterstützt wurden und weil wir alle sehr viel Freizeit in COVID-Kids investiert haben und“, sagt Kirsch. Das Projekt sei unter großem Zeitdruck in recht kurzer Zeit angegangen und unter Pandemiebedingungen samt Online-Angebot umgesetzt worden, sagt sie. Dennoch seien sie erfolgreich gewesen, wie auch die wissenschaftlichen Artikel und sonstigen Outcomes zeigten.
Hier zwei weitere Videos mit weiteren Zeugnissen von Kindern und Ergebnissen des COVID-Kids-Projektes:
In diesem Video sprechen vier Kinder über die Angst vor der Krankheit. Während zwei keine Angst hatten, war ein Kind besorgt, dass ein Familienmitglied krank wurde, und ein anderes erlebte Erwachsene, die es anschrien, weil sie glaubten, es sei zu nahe gekommen.
Dieser letzte Film zeigt einige Prädiktoren für das Wohlbefinden von Kindern im Zusammenhang mit dem Home Schooling wie z.B. Menge, Schwierigkeit und Inhalt der Hausaufgaben. Die Erfahrungen der Kinder waren unterschiedlich und nicht alle kamen gut zurecht.
Autor: Uwe Hentschel
Foto: Steve Ginepri
Videos: Universität Luxemburg