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Wie wird die Grippesaison 2020/2021 verlaufen?

Es gibt einige Anzeichen dafür, dass die Grippesaison 2020 auf der Südhalbkugel nicht so stark ausgefallen ist, wie in anderen Jahren. Warum? Die naheliegendste Vermutung: Die strikten Maßnahmen gegen das SARS-CoV-2 Virus wirken sich auch auf Infektionen mit Influenza-Viren aus, die in Europa jeden Winter zu saisonalen Grippeepidemien führen. Wird die Grippesaison auch in Luxemburg dieses Jahr weniger stark ausfallen? Fällt die Grippesaison 2020/2021 bei uns eventuell gar aus? Sollten wir uns trotzdem gegen die Influenza-Grippe impfen lassen? Und sorgt die Pandemie vielleicht sogar dafür, dass Viren aussterben werden? Hier gibt es die Antworten.

In Europa werden die Influenza-Viren jedes Jahr im Winter aktiv. Sie lösen die saisonale Virusgrippe aus. Zwischen Oktober und April des Folgejahres registrieren die nationalen Gesundheitsbehörden die Zahl der Grippekranken. Eine Welle schwappt meist Anfang Januar und dann für drei bis manchmal auch vier Monate über den Kontinent. Doch die Saison 2019 / 2020 verlief etwas anders.

Auf der Nordhalbkugel fiel die Grippesaison 2019/2020 ungefähr 6 Wochen kürzer aus als in vorhergehenden Saisons. Das zeigen Daten des globalen Influenza-Überwachungsprogramms FluNet. Gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) berichteten Virologen, dass Anfang 2020 „während drei bis vier Wochen nur noch Covid-19 vorhanden war und fast keine Grippe mehr zirkulierte.“ Sie gehen davon aus, dass ein Zusammenhang mit der aufkommenden Covid-19 Pandemie besteht.

Im Rahmen einer Studie in Singapur, die die Anzahl der Grippefälle vor und nach Einsetzen der Maßnahmen gegen Covid-19 mit denen der vergangenen drei Jahre verglich, wurde ebenfalls eine niedrige Anzahl an Patienten mit Grippe und grippeähnlichen Symptomen für die Saison 2019/2020 beobachtet. Das Fazit der Wissenschaftler: "Die Influenza-Aktivität ging deutlich zurück, was darauf hindeutet, dass die für COVID-19 ergriffenen Maßnahmen wirksam waren, um die Ausbreitung anderer viraler Atemwegserkrankungen zu reduzieren."

In Luxemburg beobachtete das Laboratoire national de santé (LNS) im Rahmen seiner Sentinelerhebung (mehr dazu weiter unten) in der Grippesaison 2019/2020 einen ähnlichen Trend wie in ganz Europa: „Die Influenza-Aktivität im Sentinel-Netzwerk erstreckte sich von Woche 03/2020 bis Woche 11/2020 mit einem Spitzenwert bei mehr als 50% der positiven Personen zwischen Woche 4 und 8/2020“, heiβt es im Bericht des LNS. Allerdings wurden hier ab Mitte März 2020 keine Influenza-Tests mehr durchgeführt, weil alle Laborkapazitäten auf Covid-19 Tests ausgerichtet wurden. Seit Oktober 2020, mit Beginn der neuen Grippesaison, werden aber auch in Luxemburg wieder Influenzafälle verzeichnet – aber bisher nur neun (mehr zur Grippesaison 2020/2021 weiter unten).   

graphique surveillance grippe Luxembourg 2019 2020

Anzahl (linke Y-Axis) bzw. Prozentsatz (rechte Y-Axis) positiver Influenza-Tests in Luxemburg (oben) und Europa (unten) pro Kalenderwoche (X-Axis) der Grippesaison 2019/2020. Quelle: LNS

Im Südwinter zwischen Juni und September sind die Influenzaviren auf der Südhalbkugel aktiv. Mit Blick auf die Grippesaison 2020 auf der Südhalbkugel berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von wesentlich weniger gemeldeten Influenza-Fällen als im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres. Laut dem globalen Influenza-Überwachungssystem FluNet wurden in Australien, Chile und Südafrika beispielsweise zwischen April und September 2020 lediglich 57 positive Testergebnisse auf das Influenzavirus gemeldet bei 85.905 Proben. In den drei Jahren zuvor wurden aus den drei Ländern laut FluNet durchschnittlich über 13.000 positive Testergebnisse bei rund 83.000 Proben pro Jahr gemeldet.

diagram % positive influenza tests SA, AUS, Chile (2017-2020)

Abb: Prozentsatz positiver Influenza-Tests pro Kalenderwoche für die Länder Australien, Chile und Südafrika in den Jahren 2017-2020. Quelle: FluNet

Einen vergleichbaren Rückgang an Grippefällen verzeichneten Wissenschaftler in Neuseeland. Ein System zur Überwachung von grippeähnlichen Symptomen, dass jährlich mehr als 30.000 Menschen umfasst, fand in der Saison 2020 nur 0,3 Prozent Grippekranke – zehnmal weniger als in vorangegangenen Jahren.

Aktuell werden vor allem drei Gründe diskutiert, die zu einer schwachen Grippesaison im vergangenen Jahr geführt haben könnten.

Covid-19 Schutzmaβnahmen

Als ein Grund werden die Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 angesehen. So würden vor allem die AHA-Regeln – Abstand halten, Hygienemaßnahmen beachten (Husten- und Niesetikette, persönliche Handhygiene), Alltagsmaske tragen – auch die Übertragung anderer Viren erschweren.

Das liegt vor allem deshalb nahe, weil sowohl Coronaviren als auch Influenzaviren durch Tröpfcheninfektion verbreitet werden. Die Erreger befinden sich dabei in kleinsten Tropfen körperlichen Sekretes, die beim Husten, Niesen oder Sprechen ausgestoßen werden. Vom Gegenüber eingeatmet, gelangen sie über die Schleimhäute in den Körper und können dort eine Infektion auslösen.

Übrigens, interessante Anmerkung: Rhinoviren, die einen Schnupfen hervorrufen, seien von dieser Entwicklung ausgenommen. Diese werden weniger durch Tröpfcheninfektion übertragen – nur in sehr feuchter Luft können sie länger als 15 Minuten infektiös sein – sondern vor allem durch Schmierinfektion. Das könnte darauf hindeuten, dass die zurzeit empfohlenen Hygienemaßnahmen wie Hände waschen oder desinfizieren weniger strikt befolgt werden als Abstand halten und Maske tragen.

Immunologische Ursachen

Neben dem Einfluss von Covid-19-Gegenmaßnahmen werden aber auch immunologische Ursachen für die schwache Grippesaison diskutiert.

So könne eine Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus Botenstoffe ausschütten, die es anderen Viren schwerer machen, sich im Nasen-Rachenraum anzusiedeln. Ob das SARS-CoV-2 Virus aber andere Erreger verdrängt, ist noch nicht abschließend geklärt.

Es gibt zum Beispiel auch Hinweise darauf, dass Personen mit einer Rhinovirus-Infektion weniger anfällig für das Influenza-Virus sind. Während der Schweinegrippe-Pandemie 2009, die durch ein neu auftretendes Influenza-A-Virus verursacht wurde, deuteten Daten aus mehreren europäischen Ländern darauf hin, dass die Ausbreitung des neuen Influenza-Virus möglicherweise durch die jährlichen Rhinovirus-Epidemien im Herbst unterbrochen wurde. Forscher vermuten, dass dafür das bei einer Rhinovirus-Infektion produzierte Interferon eine Rolle spielt. Interferone sind ebenfalls Botenstoffe, die vom Körper ausgeschüttet werden, um die Vermehrung von Viren zu verhindern.

Laborkapazitäten

Ein dritter Grund könnte in der außergewöhnlichen Belastung der Gesundheitssysteme durch Covid-19 liegen. Die zunehmenden Covid-19 Tests seit März 2020 könnten ebenfalls für die Beobachtung weniger Influenzagrippe-Fälle verantwortlich sein. Denn die Covid-Tests banden plötzlich sehr viel Laborkapazitäten, was zu Lasten der Tests auf die grippeauslösenden Influenza-Viren ging. Das war Anfang 2020 auch in Luxemburg der Fall: hier wurden vom LNS ab Mitte März keine Influenza-Tests mehr durchgeführt, weil alle Laborkapazitäten auf Covid-19 ausgerichtet wurden. Seit Oktober 2020 werden aber wieder Influenza-Tests gemacht.

So rät die WHO bei der Interpretation der Daten zur Vorsicht. Denn wenn die Labore rund um die Uhr mit Covid-19 ausgelastet sind, bleibt kaum noch Kapazität für Influenza-Tests.

Ein weiterer Grund für die niedrigen offiziellen Grippefälle könnte sein, dass Erkrankte sich aus Angst vor dem Coronavirus nicht trauen, zum Arzt zu gehen, und deswegen keine Diagnose gestellt wird.

Wie die saisonale Influenzagrippe in Luxemburg verläuft, wird jedes Jahr mit einer Sentinelerhebung überwacht. Das ist ein Werkzeug aus der Epidemiologie, bei dem die beteiligten Akteure freiwillig und über einen längeren Zeitraum Daten zur Ausbreitung einer bestimmten Erkrankung sammeln. Im Großherzogtum sind daran die Abteilung für Mikrobiologie des LNS, der Gesundheitsdirektion sowie Kinderärzte und Allgemeinmediziner beteiligt. Aus den aufbereiteten Daten lassen sich zum einen der Prozentsatz an Patienten mit grippeähnlichen Symptomen und solchen mit akuten Atemwegsinfektionen ersehen. Außerdem geben Nasen- und Rachenabstriche Auskunft darüber, ob Influenzaviren bei den Patienten vorhanden und von welchem Virustyp diese waren. Die Daten werden in der Grippesaison von Oktober bis April in wöchentlichem Turnus erfasst.

In der vorletzten Woche des Jahres 2020 berichtet das LNS von einer „moderaten Influenza-Aktivität“. Zwischen dem 21. und dem 27. Dezember konsultierten 4 von 185 erfassten Patienten ihren Arzt wegen grippeähnlicher Symptome. Das entspricht 2 Prozent. Weitere 28 Patienten (15% aller Konsultationen) wiesen akute Atemwegsinfektionen wie Entzündungen der Bronchen (Bronchitis), der Nasenschleimhäute (Rhinitis) oder der Lunge (Pneumonie) auf.

235 Patienten, die in dem gleichen Zeitraum mit Symptomen einer Grippe oder sonstigen Atemwegsinfektion im Covid Consultation Center Kirchberg waren, wurden auf acht unterschiedliche Viren getestet. Von diesen 235 Tests war nur einer positiv für Influenza (B); 28 Tests waren positiv für das Erkältungsvirus Human Rhinovirus (HRV), 52 für das neue Coronavirus SARS-CoV-2.

In der ersten Januarwoche wurde nur ein Patient mit grippeähnlichen Symptomen und 34 mit anderen Atemwegsinfektionen bei 243 Konsultationen gemeldet. In dieser Woche wurden 114 Patienten des Covid Consultation Center Kirchberg auf verschiedene Viren getestet. Keiner von ihnen testete positiv auf Influenza. Somit wird die Influenza-Aktivität für die erste Januarwoche als „schwach“ bezeichnet.  

Insgesamt gab es in der Grippesaison 2020/2021 in Luxemburg, Stand nach KW1, bisher 35 Patienten mit grippeähnlichen Symptomen und 2 positive Influenzafälle bei 3005 Tests (0,06% Positivitätsrate). Im Vorjahr gab es zum gleichen Zeitpunkt (KW 1/2020) 33 Patienten mit grippeähnliche Symptomen und 6 positive Fälle bei nur 96 Tests (6,25% Positivitätsrate).

In einem Interview mit Radio 100,7 gab der Epidemiologe Joel Mossong von der Inspection Sanitaire nun an, dass, Stand 15. Januar, nun bisher 9 Menschen positiv auf das Grippevirus getestet wurden. 

Letztes Jahr kam es ab der dritten Januarwoche zu einem starken Anstieg der Arztbesuche wegen grippeähnlicher Symptome. Dieser Trend fand seinen ersten Höhepunkt vier Wochen später bei knapp 9 Prozent, fiel bis Kalenderwoche 10 auf gut 2,5 Prozent und erreichte einen zweiten Höhepunkt mit gut 10 Prozent der Arztbesuche wegen grippeähnlicher Symptome in der letzten Märzwoche 2020. Bei der Grippesaison 2018/2019 fehlte dieser zweite Höhepunkt hingegen.

Die aktuellen Zahlen aus Luxemburg spiegeln einen Trend in ganz Europa wieder. Laut Dr. Guillaume Fournier vom Laboratoire national de santé gibt es insgesamt bisher wenig gemeldete Influenzafälle für die Grippesaison 2020/2021: weniger als 400 bei 150.000 durchgeführten Tests im Meldenetzwerk.

Der Epidemiologe Joel Mossong geht davon aus, dass die Grippesaison in Luxemburg mild verlaufen wird. Dies erschwert dann aber auch die Impfstoffentwicklung für die nächste Grippesaison. Gekoppelt an die Tatsache, dass diese Saison weniger Menschen mit Influenzaviren in Kontakt geraten, könnte dazu führen, dass die kommende Grippesaison 2021/22 dann wieder stärker ausfällt. Dies hätte man in der Vergangenheit öfters beobachtet, dass nach einer Saison mit wenigen Grippefällen eine stärkere Grippesaison folgt. 

Abb: Prozentsatz Patienten mit grippeähnlichen Symptomen. Die rote Linie stelle die Zahlen dar, die bis zur 1. Kalenderwoche des Jahres 2021 über das Sentinel-Netzwerk gemeldet wurden. Die grauen gestrichelten Linien stellen die Zahlen der vorigen Saisons dar. Wichtig: Nicht alle Patienten, die mit grippeähnlichen Symptomen beim Arzt erscheinen werden auch auf Influenza getestet. Quelle: LNS.

Auch in diesem Winter wird trotz allem eine Influenza-Grippeimpfung für Risikogruppen empfohlen. Dazu zählen beispielsweise Senioren, chronisch Kranke, Schwangere sowie medizinisches Personal. Um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, raten manche Experten und auch die luxemburgische Gesundheitsbehörde auch Menschen außerhalb dieser Risikogruppen, sich impfen zu lassen. Der amerikanische Immunologe Anthony Fauci rät ebenso zur Grippeimpfung, wie der deutsche Virologe Hendrik Streeck. Gegenüber dem ZDF sagte er: „Grippeimpfung hat den Vorteil, dass wenn sich viele Menschen impfen lassen, und wir eine Grippewelle haben sollten, dass wir zumindest diese Menschen nicht im Krankenhaus sehen.“ Der Infektiologe Manuel Battegay, vom Universitätsspital Basel ging im September 2020  davon aus, dass trotzdem mit einer Grippewelle gerechnet werden muss. Gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen sagte er: „Deshalb ist die Impfung bei den entsprechenden Indikationen, also bei Risikogruppen, so wichtig. So werden wir kein zusätzliches Grippeproblem haben.“

Die Überlastung des Gesundheitssystems durch zusätzliche Grippefälle ist aber möglicherweise nicht das einzige Argument für eine Grippeschutzimpfung. Denn deutsche und französische Forscher haben Hinweise darauf gefunden, dass Influenza-Viren im Körper die Ansteckungsrate mit SARS-CoV-2 verdoppeln könnten. Allerdings ist diese Studie bisher nur als Pre-print verfügbar, wurde also noch nicht von unabhängigen Wissenschaftlern im Peer-Review-Verfahren begutachtet. Außerdem stand der Erstautor der Studie von 2017 bis 2019 in gewisser Nähe zur Pharmabranche. Er arbeitete zu dem Zeitpunkt zusammen mit den Pharmaunternehmen Pfizer und GSK. GSK produziert unter anderem Impfstoffe gegen die Grippe.

Ein Blick auf die Über-65-Jährigen zeigt, dass die Impfrate dieser Risikogruppe in Luxemburg von 42,8 Prozent im Jahre 2001 auf 53,7 Prozent im Jahre 2008 gestiegen ist. Seit dieser Zeit nimmt sie stetig ab und lag 2018 bei 39,8 Prozent. Damit liegt die Impfquote zwar höher als zum Beispiel in Lettland (7,7 % der Über-65-Jährigen im Jahr 2018) oder Deutschland (34,8 % der Über-65-Jährigen im Jahr 2017) aber deutlich niedriger als in Großbritannien (72 % der Über-65-Jährigen im Jahr 2018) oder in Südkorea (85,1 % der Über-65-Jährigen).

Abb: Neueste verfügbare Impfraten bei Über-65-Jährigen in OECD-Ländern. Quelle: OECD

Die Gesamtzahl der Grippeschutzimpfungen im Großherzogtum lässt sich auch aus den Verkaufszahlen der Impfstoffe abschätzen. So lieferten die Großhändler in der Grippesaison 2014 / 2015 insgesamt 45.137 Impfstoffdosen. Ein Jahr später waren es 43.917 und in der Saison 2016 / 2017 insgesamt 55.006.

In der aktuellen Saison wurden rund 70.000 Impfdosen bestellt und bis Oktober 2020 etwa 55.000 geliefert. Eine sehr hohe Nachfrage auch außerhalb der Risikogruppen führte zu Engpässen, sodass in vielen Apotheken kein Impfstoff mehr verfügbar war. Die Situation hat sich durch neue Impfstofflieferungen im Dezember 2020 entspannt.

Es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass gegen Influenza geimpfte Personen ein geringeres Risiko haben, an Covid-19 zu erkranken. Diese Schlussfolgerung zieht eine vorab veröffentlichte Studie (Pre-print) an Krankenhauspersonal. Die darin vorgestellten Zusammenhänge könnten allerdings auch andere Ursachen haben. So könnten etwa Personen mit hoher Impfbereitschaft gleichzeitig zu gesundem Lebenswandel und strenge Einhaltung der Hygienemaßnahmen neigen, was das Infektionsrisiko mit Covid-19 ebenfalls senken würde. Außerdem ist Krankenhauspersonal durch persönliche Schutzkleidung am Arbeitsplatz zusätzlich vor Covid-19 geschützt. Da die Studie noch nicht von unabhängigen Wissenschaftlern begutachtet wurde, handelt es sich tatsächlich lediglich um Hinweise und nicht um einen Nachweis eines solchen Zusammenhangs.

Eine andere Studie hat die Durchimpfungsrate unter italienischen Senioren in verschiedenen Regionen mit den Covid-19 Fällen verglichen. In Regionen mit hoher Grippeschutzimpfrate traten diese seltener auf und verliefen weniger schwer. Die Autoren meinen, dass die Ergebnisse ihrer Datenauswertung weitere Studien zur Rolle des Influenza-Virus im Zusammenhang mit Covid-19 rechtfertigen.

Eine ebenfalls in Italien durchgeführte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass ein Mehr an Grippeimpfungen mit einer niedrigeren Anzahl an Covid-19 Toten einherging. Eine Studie der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Mayo Clinic fand darüber hinaus einen ähnlichen Zusammenhang zwischen anderen Schutzimpfungen zum Beispiel gegen Kinderlähmung, Windpocken, Masern, Röteln, Mumps oder Hepatitis. Auch diese Studie ist bisher nur als Pre-print verfügbar und muss erst noch im Peer-Review-Verfahren begutachtet werden.

Fazit: Auch wenn die bisherigen Studien erste Hinweise darauf liefern, dass ein Zusammenhang zwischen Grippeschutzimpfung und Covid-19-Risiko besteht, ist diese Frage noch nicht abschließend geklärt. Ob eine Grippeschutzimpfung tatsächlich gegen eine Covid-19 Infektion hilft, muss daher noch weiter untersucht werden.

Viren sind hart im Nehmen. Im Jahr 2014 fanden Forscher in Sibirien ein Virus, dass 30.000 Jahre lang im Eis des Permafrostbodens überdauerte (Quelle: sie Infobox). Einmal aufgetaut, war es trotz der widrigen Bedingungen und der langen Zeit noch im Stande, Amöben (Wechseltierchen, ein Einzeller) zu befallen und abzutöten.

Trotzdem versuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt, verschiedenste Virenstämme ein für alle Mal zu eliminieren. Ein Erreger, der aktuell im Fokus steht, ist das Maul- und Klauenseuchevirus (Quelle: siehe Infobox). Die gleichnamige Erkrankung befällt vorwiegend Paarhufer wie Rinder, Schweine oder Ziegen und richtet enormen wirtschaftlichen Schaden an. In seltenen Fällen kann sie auch auf den Menschen übertragen werden.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass Geschwindigkeit und Art der Mutationen in der Erbsubstanz des Virus sich auf dessen Fitness auswirkt und den Schlüssel zu dessen Ausrottung ist. Die virale Fitness – also die Fähigkeit eines Virus, sich zu vermehren – kann durch verschiedene Umweltfaktoren beeinflusst werden. Umgebungen, in denen sie stark sinkt, werden ökologische Fallen genannt. Diese können natürlich auftreten. Sie können aber künstlich geschaffen werden, indem die Oberfläche der Wirtszellen derart verändert wird, dass sich das Virus nicht mehr vermehren kann.

In Experimenten mit dem Maul- und Klauenseuchevirus haben Wissenschaftler Inhibitoren und Mutagene, also hemmende Veränderungen und erbgutverändernde, Faktoren miteinander kombiniert. In ähnlichen Versuchen sorgten Forscher für eine große Anzahl an Mutationen im Erbgut des Virus, die für dieses tödlich waren.

Das erste Virus, dass vom Menschen „in freier Wildbahn“ ausgerottet werden konnte, ist das Orthopoxvirus variolae, der Erreger der Echten Pocken. Wegen seiner hohen Virulenz und einer Sterblichkeit von bis zu 90 Prozent waren die Pocken über Jahrtausende eine gefürchtete Seuche. Durch eine konsequente weltweite Impfkampagne konnte das Virus zurückgedrängt werden. Den letzten Todesfall gab es im Jahr 1978. Zwei Jahre später erklärte die WHO die Welt für pockenfrei. Heute besitzen offiziell nur noch zwei Hochsicherheitslabore Proben vom Virus, eines in den USA und eines in Russland. Die hier verwahrten Stämme gelten als eine Art Lebensversicherung für den Fall, dass bisher unbekannte Proben für einen bioterroristischen Angriff eingesetzt werden. Orthopoxvirus variolae war lange Zeit das einzige Virus, dass als ausgerottet galt. Erst 2011 folgte das Rinderpestvirus (Quelle: siehe Infobox), das über Jahrhunderte schwere Verluste unter Viehbeständen verursachte. Den Durchbruch brachten auch hier ein Impfstoff und eine weltweite Ausrottungskampagne.

Es gibt aber auch Viren, die nach kurzem, heftigen Aufflammen auch ohne Impfkampagne wieder verschwinden – wie beispielsweise SARS-CoV-1, das erste SARSVirus (Quelle: siehe Infobox). Dieses löste 2002 in China das Severe Acute Respiratory Syndrome – kurz SARS aus. Anders als bei seinem Verwandten, dem SARS-CoV-2-Virus, starb im Durchschnitt jeder zehnte jüngere und jeder zweite ältere Erkrankte. Noch bevor Wissenschaftler knapp zwei Jahre später einen ersten Impfstoff im Tiermodell testeten, rutschten die Infektionszahlen gegen null. Als Grund dafür werden konsequente Eindämmungsmaβnahmen genannt.

Warum verschwand SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 ist immer noch da?

SARS-CoV-1 machte die Leute sehr schnell sehr krank und die meisten waren auch erst dann am ansteckendsten. Das erleichterte es, Infizierte zu identifizieren und in Quarantäne zu setzen, bevor sie weitere Personen anstecken konnten. Und es waren vermutlich dieses konsequente Contact-Tracing gekoppelt mit Schutzmaβnahmen, Testen und Reiseeinschränkungen, die die SARS-CoV-1 Epidemie schlussendlich nach weniger als zwei Jahren eindämmten.

SARS-CoV-2 ist zwar weniger tödlich als SARS-CoV-1, aber dafür ansteckender. Und ganz wichtig: Infizierte sind auch schon ansteckend, bevor sie Symptome zeigen. Auβerdem gibt es auch Träger ohne Symptome, die das Virus weitergeben können. Das macht es so schwer, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 unter Kontrolle zu bringen.  

Experten zufolge wird es trotz aktueller Schutzmaβnahmen immer noch kleine Bevölkerungsgruppen geben, in denen Influenzaviren normal zirkulieren und es somit auch immer wieder weiter geben können. Warum? Dafür gibt es zwei Hauptgründe:

Viele verschiedene Influenzaviren, die sich permanent ändern

Es gibt nicht nur ein, sondern mehrere Influenzaviren. Es gibt drei Typen von Viren, die den Menschen befallen können: A, B und C. Die Typen A und B verursachen saisonale Epidemien, aber Typ A kann manchmal Pandemien verursachen (zuletzt im Jahr 2009). Jedes Jahr zirkulieren unterschiedliche Virus-Varianten. Und die einzelnen Varianten mutieren auch immer wieder. Deshalb sind wir nie komplett immun gegen die Grippe und es müssen jedes Jahr neue Grippeschutzimpfungen definiert und hergestellt werden. An einem universellen Grippeimpfstoff gegen Influenza B wird geforscht.  Wäre dieser erfolgreich und sicher, könnte zumindest Influenza B theoretisch ausgerottet werden (abhängig davon, wie viele Menschen sich impfen lassen).

Menschen sind nicht die einzigen Wirte

Für Influenza A ist dieses Szenario wohl unmöglich. Denn Influenzaviren des Typ A infizieren nicht nur Menschen, sondern zirkulieren auch in Tieren, vor allem in Vögeln. Influenza B Viren existieren nur in Menschen und Seehunden und verursachen keine Pandemien. Sogar wenn diese Influenza-Typen durch Schutzmaβnahmen und/oder Impfung ausgerottet würden, könnten neue Varianten vom Tier wieder auf den Menschen wechseln.

Trotzdem kann es sein, dass die aktuelle Pandemie einen Einfluss auf die Influenzaviren haben wird. Wenn es in der Tat weniger Übertragungen der Influenzaviren gibt, sollten theoretisch auch weniger Mutationen entstehen. Das könnte bedeuten, dass die nächste Grippesaison milder ausfällt.

Fazit

Nein, die Grippesaison fällt dieses Jahr nicht aus. Auf der Südhalbkugel war sie jedoch weniger stark ausgefallen als andere Jahre. Und Experten gehen davon aus, dass sie auch auf der Nordhalbkugel - und demnach auch in Luxemburg - weniger stark ausfallen wird.

Die vielerorts milde Grippesaisons 2019/2020 und bisher auch 2020/2021 sind ein Indiz dafür, dass die Influenzaviren zurzeit stark zurückgedrängt werden. Experten führen das unter anderem auf die strengeren Hygienemassnahmen zurück, die zurzeit weltweit gelten. Dierse tragen nicht nur dazu bei, die Verbreitung von Sars-CoV-2 zu bremsen, sondern auch die Verbreitung anderer respiratorischer Viren - also auch der Influenzaviren. Zurzeit laufen auch immunologische Studien, um der Frage nachzugehen, ob Sars-CoV-2 eventuell sogar andere Viren verdrängt. Es ist aber auch davon auszugehen, dass überlastete Gesundheitssysteme und dadurch beeinträchtigte Meldesysteme eine Rolle dabei spielen, dass weniger Grippefälle detektiert werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich nicht belegen, dass Influenzaviren durch SARS-CoV-2 oder durch die weltweiten strengen Hygienemaßnahmen ausgestorben sind. Und es ist auch unwahrscheinlich, dass Influenzaviren komplett ausgerottet werden.

Eine Grippeschutzimpfung halten Experten deshalb auch weiterhin für sinnvoll - hauptsächlich um die Gesundheitssysteme nicht auch noch durch die Grippe zusätzlich zu belasten. Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Viren, und ob eine Grippeschutzimpfung eventuell auch gegen eine Covid-19 Infektion hilft, muss noch weiter untersucht werden. 

 

Autoren: scienceRELATIONS/Kai Dürfeld, Michèle Weber (FNR)
Editoren: Jean-Paul Bertemes (FNR), Michèle Weber (FNR)
Abbildungen: LNS, FNR, OECD

Infobox

Zusätzliche Quellen
  1. Viren, die in Permafrost überleben: Marilyn J. Roossinck, Viren!, Springer-Verlag, 2018, S.214
  2. Karl Wurm, A. M. Walter: Infektionskrankheiten. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 9–223, hier: S. 209 f.
  3. Ausrottung der Rinderpest: Marilyn J. Roossinck, Viren!, Springer-Verlag, 2018, S.126
  4. SARS: Marilyn J. Roossinck, Viren!, Springer-Verlag, 2018, S.84
  5. SARS-CoV-1 vs SARS-CoV-2: https://theconversation.com/the-original-sars-virus-disappeared-heres-why-coronavirus-wont-do-the-same-138177

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