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Unsere Körperzellen enthalten alle mRNA, kurz für «messengerRNA» (engl.: Boten-RNA). In unseren Körperzellen dient dieses Molekül zur Herstellung von Eiweissen.
Die ersten zwei Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die in der EU zugelassen wurden, beruhen auf der neuen mRNA-Technologie. Diese Technologie wurde bisher noch in keinem anderen zugelassenen Impfstoff verwendet. Bisher bestanden Impfstoffe gegen ansteckende Krankheiten entweder aus abgeschwächten oder abgetöteten Erregern, einzelnen Eiweissen oder Teilen von Erregern. Bei mRNA-Impfstoffen wird hingegen nur der Bauplan für ein Eiweiss des Erregers verabreicht.
Tatsächlich waren Experten von diesen Erfolgen nicht überrascht, denn erforscht werden mRNA-Impfstoffe schon seit über 25 Jahren – u.a. als potenzielle Krebstherapeutika. Dr. Gérard Schockmel, Infektiologe an den "Hôpitaux Robert Schuman", ist gar der Überzeugung, dass die mRNA-Impfstoffe einen medizinischen Quantensprung in der Entwicklung von genbasierten Impfstoffen darstellen und überdies zahlreiche neue Perspektiven eröffnen. (Mehr dazu ganz am Schluss des Artikels)
Seit wann wird an dieser Technologie geforscht? Was sind die Vor- und Nachteile der Technologie? Welche Impfstoffkandidaten gibt es bereits? Weshalb wurden zunächst keine anderen Impfstoffe als die beiden Covid-19 mRNA-Impfstoffe zugelassen? Und inwiefern bietet die mRNA-Technologie zahlreiche neue Möglichkeiten?
(Interviewpartner für diesen Artikel: Dr. Gérard Schockmel, Infektiologe an den "Hôpitaux Robert Schuman", Dr. Markus Ollert, Immunologe am Luxembourg Institute of Health, und Dr. Steve Pascolo, Immunologe am Universitätsspital Zürich)
Seit wann werden mRNA-Impfstoffe erforscht?
In einer Studie aus dem Jahr 1993 verabreichten Forschende in einer Proof-of-Concept-Studie Mäusen mRNA, die in Fetthüllen verpackt war (ähnlich wie bei den neuen Covid-19 Impfstoffen) und die den Bauplan für ein Eiweiss des Grippevirus enthielt. Die Mäuse bildeten spezifische Immunzellen gegen das Virus, die auch bei einer natürlichen Infektion entstehen. Das Konzept einer Impfung mit mRNA war geboren. Auch bei der Covid-19-Impfung entsteht aus der gespritzten mRNA ein Protein von Sars-CoV-2, gegen das unser Immunsystem Antikörper und Immunzellen bildet.
Seit den Anfängen in den 1990er Jahren haben Wissenschaftler mRNA-Vakzine kontinuierlich optimiert und ihre Wirksamkeit und Sicherheit verbessert. Die frühen mRNA-Impfstoffe hatten das Problem, dass sie im Vergleich zu Impfstoffen mit Eiweissen oder abgeschwächten Viren nur eine schwache Immunantwort auslösten, erklärt der Immunologe Steve Pascolo vom Universitätsspital Zürich, der seit 1998 mRNA-Impfstoffe erforscht. Ein Grund für die ursprüngliche schwache Immunantwort war, dass mRNA-Moleküle instabil sind und im Körper rasch abgebaut werden. Dass die Immunantwort immer besser wurde und bei den nun zugelassenen Impfstoffen zu einer aussergewöhnlich hohen Wirksamkeit führte, liege an drei technologischen Entwicklungen, die die Stabilität der Moleküle drastisch erhöhten. Hier hat die Forschung in den letzten Jahren einen großen Sprung gemacht, so dass dieser Typ Vakzine jetzt einsatzbereit ist.
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Welche mRNA-Impfstoffkandidaten gibt es neben den Covid-19–Vakzinen bisher und wie weit sind sie in ihrer Entwicklung gekommen?
Mittlerweile wurden mRNA-Impfstoffe gegen die Grippe, gegen das Zika-Virus, gegen Tollwut und gegen HIV entwickelt und in präklinischen Studien an Tieren und sogar einigen klinischen Studien an Menschen erprobt. Ein Augenmerk lag ursprünglich aber nicht nur auf Impfstoffen gegen übertragbare Krankheiten, sondern vor allem auf der Entwicklung von therapeutischen Impfstoffen zur Behandlung von Krebs. U.a. Biontech hat an solchen Impfstoffen zur Behandlung von Krebs gearbeitet.
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Warum wurde bisher noch kein mRNA-Vakzin zugelassen?
Obwohl die ersten Resultate mit mRNA-Vakzinen gegen Hautkrebs vielversprechend waren und die Sicherheitskriterien einer Phase I Studie erfüllten, gibt es bisher kein Impfstoff dagegen. Denn die Impfstoffe lösten zwar die erwünschte Immunreaktion aus, dennoch liess sich so das Wachstum von Tumoren nicht wesentlich aufhalten. "Aus diesem Grund wurden die mRNA-Impfstoffe gegen Krebs bisher nicht zugelassen", sagt Pascolo. Dennoch arbeiten viele Firmen weltweit daran, mRNA-Krebs-Impfstoffe weiter zu verbessern und zu entwickeln – so auch BioNTech, die einen der bereits zugelassenen Covid-19 Impfstoffe zusammen mit Pfizer entwickelten.
Die Tatsache, dass mRNA-Vakzine gegen übertragbare Krankheiten wie Grippe, Zika oder Tollwut noch nicht auf dem Markt sind, hat banale Gründe. "Sie haben keine hohe Priorität", sagt Pascolo. Um einen Impfstoff zur Zulassung zu bringen, sind Phase-3-Studien mit vielen Tausend Probanden nötig. Diese Studien kosten viel Geld und es ist viel Aufwand, die nötigen Probanden zu gewinnen. Geld und Probanden fanden sich bei Sars-CoV-2 leichter als bei anderen Krankheiten. Corona ist ein akutes, weltweites Problem, während andere Viren wie Zika nur kurzfristig oder nur regional beschränkt Probleme machen. "Aber sicherlich werden wir bald auch einen mRNA-Impfstoff gegen das Zika-Virus haben", sagt Pascolo.
Ein weiterer Grund ist, dass die Phase 3-Studien bei Corona so schnell gingen, weil sich im aktuellen Pandemiegeschehen die Probanden so schnell und häufig ansteckten. Bei Phase 3-Studien muss man nämlich darauf warten, dass sich eine gewisse Anzahl an Menschen mit dem Krankheitserreger infiziert, um dann die Verteilung der Erkrankten auf die Placebogruppe und Impfgruppe zu analysieren – und somit Rückschlüsse auf die Wirksamkeit des Impfstoffs ziehen kann. Bei Covid-19 ging dies einfach schneller als bei anderen, nicht pandemischen Krankheiten.
Des Weiteren müssen sich neue Vakzine auf dem Markt durchsetzen. Zwar könnte es theoretisch bereits ein mRNA-Vakzin gegen die Grippe geben. Aber damit sich eine Investition in Phase-3-Studien lohne, so Pascolo, müsse die Aussicht bestehen, dass diese Vakzine besser oder preiswerter seien als die gängigen Grippe-Impfstoffe auf dem Markt. Dies ist bisher noch nicht der Fall.
Was sind die Vor- und Nachteile von mRNA-Impfstoffen?
Hier einige Vorteile (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
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Wenn über mRNA-Impfstoffe die Rede ist, kommt es immer wieder zur Frage, ob mRNA-Impfstoffe unser Erbgut verändern können? Hierzu eine kurze Erklärung:
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Und hier einige Nachteile (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
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Mehr Informationen zu den Nebenwirkungen vor allem des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer findest Du hier:
Ein aktuelles Problem der mRNA-Covid-Impfstoffe ist, dass die Anzahl der Dosen vorerst noch gering ist. Dies, weil für die Herstellung von mRNA-Molekülen bestimmte Chemikalien und Enzyme notwendig sind. Die Produktion dieser Ausgangsmaterialien und auch der Aufbau von zertifizierten Produktionsfabriken kostet Zeit. Dieses Problem wird sich aber mit dem Hochfahren der Infrastruktur lösen. So konnte BioNTech/Pfizer im Jahr 2020 "nur" 50 Millionen Dosen liefern. In 2021 sollen es aber schon 2 Milliarden sein.
Wie sieht die Zukunft der mRNA-Impfstoffe aus?
"Die mRNA-Impfstoffe sind revolutionär", sagt Dr. Gérard Schockmel, Infektiologe an den Hôpitaux Robert Schuman.« Vor allem weil sie so einfach herzustellen sind. Das Design eines neuen Impfstoffs ist innerhalb weniger Tage möglich, wenn man genau weiss welche genetische Information gebraucht wird. Die Produktion geht auch schneller als bei herkömmlichen Impfstoffen und ist virusfrei. Ausserdem bietet diese Technologie eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten», so Dr. Schockmel.
Wie bereits im Artikel erwähnt, ist es relativ einfach mRNA-Impfstoffe gegen Virusmutanten herzustellen, indem man die genetische Information für das Spike-Protein der Virusmutante in die neue mRNA aufnimmt. "In Zukunft kann man sich vorstellen, dass mRNA-Impfstoffe entwickelt werden, deren mRNA die genetische Information für die Spike-Proteine mehrerer Virusmutanten enthält. Dann wären die Geimpften mit einer einzelnen Impfung gegen mehrere Virusmutanten geschützt", so Dr. Schockmel.
Auch ist es anhand von mRNA-Impfstoffen relativ einfach, gleichzeitig gegen verschiedene Infektionserreger zu impfen, meint Dr Schockmel. So könnte man z.B. einen mRNA-Impfstoff entwickeln, der gleichzeitig gegen Covid-19 und die saisonale Grippe schützt. Es gibt auch Überlegungen, die vielen Impfungen, die Kinder in ihren ersten Lebensjahren erhalten, zu kombinieren. "Anstelle den Kindern 20 einzelne Impfungen zu verabreichen, bräuchte man sie dann nur noch zwei- oder dreimal zu impfen", so Dr. Schockmel weiter.
Weiteres Innovationspotential sieht der Infektiologe der Robert-Schuman-Krankenhäuser in der Verwendung sogenannter selbstreplizierenden mRNA-Impfstoffe – diese verwenden mRNA-Moleküle die sich ein paar Mal selbst vervielfältigen können. Die mRNA die zurzeit in den Covid-19 Impfstoffen verwendet wird, teilt sich nicht in den Körperzellen. Sie veranlasst die Zellen zur Produktion von Spike-Proteinen und wird anschliessend zersetzt. Eine selbstreplizierende mRNA hingegen vervielfältigt sich in eine gewisse Anzahl von neuen mRNA Molekülen und erhöht damit die Anzahl von Spike-Proteinen die von den Zellen gebildet werden. Anschliessend werden die mRNA-Moleküle zersetzt. Durch den Multiplikationseffekt könnte ein Bruchteil der aktuellen Impfdosis ausreichen um denselben Impfschutz zu erzielen. Mit dieser Ersparnis an Impfsubstanz könnten dann entsprechend viel mehr Menschen geimpft werden.
"Wenn man z.B. einen Replikationsfaktor von 7 wählt, würde in den Körperzellen aus 1 injizierten mRNA-Molekül 2 werden, dann 4, dann 8, dann 16, 32, 64 – und schliesslich 128 mRNA-Moleküle. Während eine nicht-replizierende mRNA nur die Bildung von 1 Spike-Protein erlaubt, würde eine selbst-replizierende mRNA die Bildung von 128 Spike-Proteinen ermöglichen. Einerseits wäre damit der Effekt eines einzigen mRNA-Moleküls 128 x stärker, andererseits hätte man mit einem Hundertachtunzwanzigstel (1/128) der Dosis denselben Effekt wie bei einer nicht-replizierenden mRNA. Die Folge: mit derselben Impfdosis könnte man anstatt nur einem, nun 128 Menschen impfen. Damit käme man der weltweiten Kontrolle der Pandemie mit Meilenstiefeln entgegen", so Dr. Schockmel.
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Und schliesslich seien die mRNA-Impfstoffe auch deshalb revolutionär, weil sie Wegbereiter für personalisierte Therapien sein könnten. Z.B. wie bereits im Artikel erwähnt bei Krebspatienten, die nach Verabreichung der entsprechenden mRNA eine Immunabwehr gegen spezifische Proteine auf Tumorzellen entwickeln könnten. Eine andere Anwendung wäre bei Patienten mit seltenen genetischen Krankheiten bei denen aufgrund eines genetischen Defekts bestimmte Schlüsselproteine entweder ganz fehlen oder nicht in ausreichender Menge gebildet werden. Die mRNA würde den Zellen dieser Patienten den Bauplan für die Synthese der fehlenden Proteine liefern. Ein großer Vorteil der mRNA-Technologie wären die vergleichsweise niedrigen Entwicklungs- und Behandlungskosten, was insbesondere bei seltenen Krankheiten, bei denen die Finanzierung stets ein großes Problem darstellt, einen enormen Vorteil böte. Dazu käme die Schnelligkeit mit der mRNA Wirkstoffe entwickelt werden können und das relativ einfache Design dieser Wirkstoffe.
„Dass nun gleich zwei mRNA Impfstoffe den Weg bis zum Einsatz beim Menschen geschafft haben und wir dadurch wertvolle Erfahrungen mit der mRNA-Technologie gewinnen können, hilft nun auch bei der Entwicklung der mRNA-Technologie im Hinblick auf die Behandlung von Krebs und genetischen Leiden“, sagt Dr. Schockmel.
Was die Zukunft bringen wird hinsichtlich der mRNA-Technologie wird sich zeigen. Im Fall der Covid-19 Pandemie hat sich die mRNA-Technologie aber auf jeden Fall schon mal insofern durchgesetzt, dass sie am schnellsten war und die ersten Covid-19 Impfstoffe hervorgebracht hat, die in der EU zugelassen wurden.
Autoren: Cornelia Eisenach (Scitec-Media), Jean-Paul Bertemes (FNR), Michèle Weber (FNR)