Adobe Stock
Die ersten zwei Impfstoffe gegen Sars-CoV-2, die in der EU zugelassen wurden, beruhen auf der neuen mRNA-Technologie. Diese Technologie wurde bisher noch in keinem anderen zugelassenen Impfstoff verwendet. Bisher bestanden Impfstoffe gegen ansteckende Krankheiten entweder aus abgeschwächten oder abgetöteten Erregern, einzelnen Eiweissen oder Teilen von Erregern. Bei mRNA-Impfstoffen wird hingegen nur der Bauplan für ein Eiweiss des Erregers verabreicht.
Tatsächlich waren Experten von diesen Erfolgen nicht überrascht, denn erforscht werden mRNA-Impfstoffe schon seit über 25 Jahren – u.a. als potenzielle Krebstherapeutika. Dr. Gérard Schockmel, Infektiologe an den "Hôpitaux Robert Schuman", ist gar der Überzeugung, dass die mRNA-Impfstoffe einen medizinischen Quantensprung in der Entwicklung von genbasierten Impfstoffen darstellen und überdies zahlreiche neue Perspektiven eröffnen. (Mehr dazu ganz am Schluss des Artikels)
Seit wann wird an dieser Technologie geforscht? Was sind die Vor- und Nachteile der Technologie? Welche Impfstoffkandidaten gibt es bereits? Weshalb wurden zunächst keine anderen Impfstoffe als die beiden Covid-19 mRNA-Impfstoffe zugelassen? Und inwiefern bietet die mRNA-Technologie zahlreiche neue Möglichkeiten?
(Interviewpartner für diesen Artikel: Dr. Gérard Schockmel, Infektiologe an den "Hôpitaux Robert Schuman", Dr. Markus Ollert, Immunologe am Luxembourg Institute of Health, und Dr. Steve Pascolo, Immunologe am Universitätsspital Zürich)
Seit wann werden mRNA-Impfstoffe erforscht?
In einer Studie aus dem Jahr 1993 verabreichten Forschende in einer Proof-of-Concept-Studie Mäusen mRNA, die in Fetthüllen verpackt war (ähnlich wie bei den neuen Covid-19 Impfstoffen) und die den Bauplan für ein Eiweiss des Grippevirus enthielt. Die Mäuse bildeten spezifische Immunzellen gegen das Virus, die auch bei einer natürlichen Infektion entstehen. Das Konzept einer Impfung mit mRNA war geboren. Auch bei der Covid-19-Impfung entsteht aus der gespritzten mRNA ein Protein von Sars-CoV-2, gegen das unser Immunsystem Antikörper und Immunzellen bildet.
Seit den Anfängen in den 1990er Jahren haben Wissenschaftler mRNA-Vakzine kontinuierlich optimiert und ihre Wirksamkeit und Sicherheit verbessert. Die frühen mRNA-Impfstoffe hatten das Problem, dass sie im Vergleich zu Impfstoffen mit Eiweissen oder abgeschwächten Viren nur eine schwache Immunantwort auslösten, erklärt der Immunologe Steve Pascolo vom Universitätsspital Zürich, der seit 1998 mRNA-Impfstoffe erforscht. Ein Grund für die ursprüngliche schwache Immunantwort war, dass mRNA-Moleküle instabil sind und im Körper rasch abgebaut werden. Dass die Immunantwort immer besser wurde und bei den nun zugelassenen Impfstoffen zu einer aussergewöhnlich hohen Wirksamkeit führte, liege an drei technologischen Entwicklungen, die die Stabilität der Moleküle drastisch erhöhten. Hier hat die Forschung in den letzten Jahren einen großen Sprung gemacht, so dass dieser Typ Vakzine jetzt einsatzbereit ist.
Infobox
- Die Verpackung der mRNA-Moleküle in Fetthüllen ist kontinuierlich verbessert worden.
- Die Schreibweise der fremden mRNA-Sequenz wurde künstlich verbessert, so dass unser Körper sie besser lesen kann.
- Das heute verwendete mRNA-Molekül besteht nicht nur aus der RNA-Sequenz, die Anweisungen für die Herstellung des Virusproteins enthält, sondern es enthält noch andere Strukturen. Zu diesen Strukturen gehören etwa Sequenzbereiche vor und hinter der Virussequenz, sowie eine sogenannte Kappe am Anfang des mRNA-Moleküls. Sie sind notwendig für die Stabilität des Moleküls sowie für die Bindung der molekularen Maschinen, die die mRNA Sequenz in Eiweisse übersetzen. Die Strukturen bestimmen also, wie effizient aus dem mRNA-Impfstoff ein Viruseiweiss entsteht. "Bei der Verbesserung dieser Strukturen hat die Forschung in den letzten drei bis vier Jahren einen Sprung gemacht", so Pascolo. Daher seien mRNA-Impfstoffe effizienter geworden.
Welche mRNA-Impfstoffkandidaten gibt es neben den Covid-19–Vakzinen bisher und wie weit sind sie in ihrer Entwicklung gekommen?
Mittlerweile wurden mRNA-Impfstoffe gegen die Grippe, gegen das Zika-Virus, gegen Tollwut und gegen HIV entwickelt und in präklinischen Studien an Tieren und sogar einigen klinischen Studien an Menschen erprobt. Ein Augenmerk lag ursprünglich aber nicht nur auf Impfstoffen gegen übertragbare Krankheiten, sondern vor allem auf der Entwicklung von therapeutischen Impfstoffen zur Behandlung von Krebs. U.a. Biontech hat an solchen Impfstoffen zur Behandlung von Krebs gearbeitet.
Infobox
Sogenannte therapeutische mRNA-Impfstoffe werden (unter anderem von der Firma BioNTECH) auch seit Jahren als neue potentielle Krebstherapie erforscht. Die Idee dahinter: Die injizierte mRNA enthält die Sequenz für ein Eiweiss, welches nur in Krebszellen auftaucht. So bildet der Körper gegen dieses Eiweiss Antikörper und andere Immunzellen und attackiert somit nur die Krebszellen, aber keine körpereigenen Zellen. Derartige mRNA-Impfstoffe werden derzeit gegen nahezu alle Arten von soliden Tumoren erforscht, etwa Prostatakrebs, Hirntumore, Gebärmutterkrebs, Hautkrebs oder Bauchspeicheldrüsenkrebs (https://www.nature.com/articles/nrd.2017.243#ref-CR91). Der Immunologe Pascolo und seine Kollegen, beispielsweise, begannen Anfang der 2000er Jahre mRNA-Impfstoffe gegen Hautkrebs zu entwickelten und testete diese ab 2003 auch an Patienten in ersten klinischen Studien mit wenigen Teilnehmern (< 30) (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18481387/ und https://journals.lww.com/immunotherapy-journal/Abstract/2009/06000/Direct_Injection_of_Protamine_protected_mRNA_.8.aspx).
Eine Studie von 2017 zeigte, dass ein mRNA-Impfstoff gegen das Zika-Virus zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern in Mäusen und Rhesus-Affen führte (https://www.nature.com/articles/nature21428). Weder bei den geimpften Mäusen (n = 8) noch bei den Affen (n= 10) wurden Entzündungen oder andere Nebenwirkungen festgestellt.
Auch an mRNA-Impfstoffen gegen Grippe wird geforscht: Eine präklinische Studie an Tieren (Mäuse, Frettchen und Affen) aus dem Jahr 2017 zeigte, dass die mRNA-Impfstoffe gegen H7N9 und H10N8 Influenza (Virusstämme der sogenannten Vogelgrippe, die auch Menschen befallen können) https://www.cell.com/molecular-therapy-family/molecular-therapy/fulltext/S1525-0016(17)30156-9?_returnURL=https%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier.com%2Fretrieve%2Fpii%2FS1525001617301569%3Fshowall%3Dtrue) schützende Immunantworten auslösten.
Auch ein mRNA-Impfstoff gegen Influenza A (das Grippevirus, das hauptsächlich für saisonale Epidemien beim Menschen verantwortlich ist) https://www.nature.com/articles/nbt.2436) wurde bereits 2012 an Tieren getestet (Mäusen, Frettchen und Schweinen) und schützte diese ebenfalls vor einer Grippe.
mRNA-Vakzine gegen die Influenza-Stämme H10N8 und H7N9 wurden ebenfalls bereits an Probanden in einer klinischen Studie der Phase I getestet. In dieser Studie erhielten 23 Teilnehmer eine Impfung und acht ein Placebo (Kontrolle). Die Impfstoffe lösten auch bei den Menschen eine Immunantwort aus. Die Nebenwirkungen waren ähnlich wie bei einer Impfung gegen das H1N1-Influenzavirus und vergleichbar mit denen eines Impfstoffs gegen Meningocokken bei gesunden Erwachsenen (19-55J) (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31079849/).
Die Mehrheit der beobachteten Nebenwirkungen war mild (66 Prozent) oder moderat (32 Prozent): Schmerzen an der Einstichstelle, Muskel- oder Kopfschmerzen, Müdigkeit, und Schüttelfrost bzw. Symptome einer harmlosen Erkältung. Drei geimpfte Studienteilnehmer berichteten von insgesamt vier Nebenwirkungen, die als schwerer eingestuft wurden: Rötung oder Verhärtung der Injektionsstelle und Schüttelfrost/Erkältung. Es gab keine schwerwiegenden Nebenwirkungen und alle anderen Nebenwirkungen konnten behandelt und wieder rückgängig gemacht werden
Auch ein mRNA-Vakzin gegen Tollwut wurde bereits in einer Phase-I-Studie an 101 gesunden Menschen getestet (18-40J) (https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28754494/). Dieser Impfstoff wurde von der Firma CureVac entwickelt (und die Studie auch durch sie finanziert), die auch einen Covid-19 Impfstoff in der Entwicklung haben. Die Mehrheit der Teilnehmer berichtete von milden Nebenwirkungen. Ein Teilnehmender entwickelte sieben Tage nach der zweiten Dosis eine Gesichtslähmung (Bell’s palsy), was als mögliche schwerwiegende Nebenwirkung eingestuft wurde. Der Teilnehmende erhielt – als Vorsichtsmaβnahme – nicht die geplante dritte Injektion und die Lähmung verschwand wieder. Zwei weitere schwerwiegende Ereignisse wurden untersucht und es wurde kein kausaler Zusammenhang mit der Impfung festgestellt. Auch diese beiden Personen erholten sich.
Warum wurde bisher noch kein mRNA-Vakzin zugelassen?
Obwohl die ersten Resultate mit mRNA-Vakzinen gegen Hautkrebs vielversprechend waren und die Sicherheitskriterien einer Phase I Studie erfüllten, gibt es bisher kein Impfstoff dagegen. Denn die Impfstoffe lösten zwar die erwünschte Immunreaktion aus, dennoch liess sich so das Wachstum von Tumoren nicht wesentlich aufhalten. "Aus diesem Grund wurden die mRNA-Impfstoffe gegen Krebs bisher nicht zugelassen", sagt Pascolo. Dennoch arbeiten viele Firmen weltweit daran, mRNA-Krebs-Impfstoffe weiter zu verbessern und zu entwickeln – so auch BioNTech, die einen der bereits zugelassenen Covid-19 Impfstoffe zusammen mit Pfizer entwickelten.
Die Tatsache, dass mRNA-Vakzine gegen übertragbare Krankheiten wie Grippe, Zika oder Tollwut noch nicht auf dem Markt sind, hat banale Gründe. "Sie haben keine hohe Priorität", sagt Pascolo. Um einen Impfstoff zur Zulassung zu bringen, sind Phase-3-Studien mit vielen Tausend Probanden nötig. Diese Studien kosten viel Geld und es ist viel Aufwand, die nötigen Probanden zu gewinnen. Geld und Probanden fanden sich bei Sars-CoV-2 leichter als bei anderen Krankheiten. Corona ist ein akutes, weltweites Problem, während andere Viren wie Zika nur kurzfristig oder nur regional beschränkt Probleme machen. "Aber sicherlich werden wir bald auch einen mRNA-Impfstoff gegen das Zika-Virus haben", sagt Pascolo.
Ein weiterer Grund ist, dass die Phase 3-Studien bei Corona so schnell gingen, weil sich im aktuellen Pandemiegeschehen die Probanden so schnell und häufig ansteckten. Bei Phase 3-Studien muss man nämlich darauf warten, dass sich eine gewisse Anzahl an Menschen mit dem Krankheitserreger infiziert, um dann die Verteilung der Erkrankten auf die Placebogruppe und Impfgruppe zu analysieren – und somit Rückschlüsse auf die Wirksamkeit des Impfstoffs ziehen kann. Bei Covid-19 ging dies einfach schneller als bei anderen, nicht pandemischen Krankheiten.
Des Weiteren müssen sich neue Vakzine auf dem Markt durchsetzen. Zwar könnte es theoretisch bereits ein mRNA-Vakzin gegen die Grippe geben. Aber damit sich eine Investition in Phase-3-Studien lohne, so Pascolo, müsse die Aussicht bestehen, dass diese Vakzine besser oder preiswerter seien als die gängigen Grippe-Impfstoffe auf dem Markt. Dies ist bisher noch nicht der Fall.
Was sind die Vor- und Nachteile von mRNA-Impfstoffen?
Hier einige Vorteile (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
Infobox
Ein wichtiger Vorteil von mRNA-Impfstoffen, das zeigte sich während der Pandemie, ist die Schnelligkeit und Einfachheit der Herstellung des eigentlichen Impfstoffkandidaten. Nachdem das Erbgut des SARS-CoV-2 Virus bereits Anfang Januar 2020 entziffert wurde, konnten die Forscher sofort loslegen.
Die wichtigsten Ausgangsstoffe sind die Bausteine, aus denen das mRNA-Molekül aufgebaut ist, sowie das Enzym – die RNA-Polymerase –, welches diese Bausteine in der richtigen Reihenfolge zusammensetzt. Dies kann sowohl im kleinen Reagenzglas als auch im Bioreaktor einer großen Produktionsanlage geschehen.
Im Labor lässt sich die mRNA innerhalb weniger Tage herstellen, inklusive der Synthese und Verpackung des mRNA-Moleküls, in einer pharmazeutischen Großanlage gelingt dies innerhalb Wochen bis weniger Monate. Dies ist verhältnismässig einfach und verhältnismässig schnell.
Der Vorteil der Schnelligkeit könnte in Zukunft noch einen weiteren Nutzen bringen, sagt der Immunologe Markus Ollert vom Luxembourg Institute of Health. Es könne passieren, dass SARS-CoV-2 jedes Jahr in leicht veränderter, mutierter Form von neuem auftaucht. «Die mRNA-Technologie würden es uns erlauben, den Impfstoff dann relativ kurzfristig an mutierte Varianten anzupassen», so Ollert. Man muss sozusagen nur eine Kopie der relevanten mutierten Virus-RNA machen und diese dann im Vakzin austauschen.
Insgesamt sollten durch ein schnelles und einfaches Herstellungsverfahren mRNA-Impfstoffe langfristig auch kosteneffizienter als herkömmliche Impfstoffe sein.
Ein weiterer Vorteil von mRNA-Impfstoffen, ist dass sie ohne traditionelle Adjuvanzien wie z.B. Aluminium auskommen. Adjuvanzien sind Zusatzstoffe, die in vielen herkömmlichen Impfstoffen beigemischt werden, um die Immunantwort zusätzlich zu stimulieren. Solche Adjuvanzien können Nebenwirkungen verursachen und werden sowohl von Fachleuten wie Impfgegnern kritisch diskutiert.
Ein weiterer potenzieller Vorteil gegenüber herkömmlichen Impfstoffen, die auf abgeschwächten Erregern oder Viruseiweissen beruhen, sei, dass mRNA-Impfstoffe sicher seien, weil die Moleküle nach der Impfung vollständig abgebaut würden, so Pascolo. Sie enthielten keine infektiösen Viruspartikel oder Verunreinigungen aus der Eiweissherstellung. Diese können nämlich ebenfalls zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Das sagen auch andere Forschende in einem Übersichtsartikel, die auch noch einen anderen Aspekt gegenüber Impfstoffen hervorheben, die auf DNA basieren: "Da mRNA eine nicht infektiöse, nicht integrierende Plattform ist, besteht kein potenzielles Risiko einer Infektion oder Insertionsmutagenese." Insertionsmutagenese bezeichnet eine Veränderung (Mutation) der DNA, bei welcher der DNA eine oder mehr Basenpaare (die Bausteine der DNA) zugefügt werden. Bei Impfstoffen, die auf DNA basieren, ist dieses Risiko nicht abschliessend geklärt.
Wenn über mRNA-Impfstoffe die Rede ist, kommt es immer wieder zur Frage, ob mRNA-Impfstoffe unser Erbgut verändern können? Hierzu eine kurze Erklärung:
Infobox
Zunächst einmal ist wichtig zu wissen, dass DNA und RNA rein chemisch gesehen zwei unterschiedliche Moleküle sind, die sich nicht einfach so miteinander vermischen können.
Unser Ergbut, die DNA, befindet sich in Zellkern. Die Herstellung von Proteinen aus mRNA – egal ob eigene oder fremde, findet aber in der Zellflüssigkeit, dem Zytoplasma statt. Und nach diesem Prozess wird mRNA abgebaut. Bei der Impfung ist die mRNA in einer Kapsel aus Fetten, die mit der Oberfläche unserer Zellen verschmelzen kann. So gelangt die mRNA in das Zytoplasma unserer Zellen. Sie ist also räumlich von unserem Ergbut im Zellkern getrennt. Es ist sehr unwahrscheinlich, quasi ausgeschlossen, dass mRNA den Weg in unser Erbgut findet.
Es gibt jedoch ein paar molekularbiologische Szenarien, die es theoretisch möglich machen könnten, dass die mRNA der Impfung den Weg in unser Erbgut findet (mehr dazu in diesem Artikel). Dies ist aber höchst unwahrscheinlich und es gibt bisher keine Beweise dafür, dass dies bei RNA-Impfungen möglich ist.
Ausserdem: Auch bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 Virus gelangt auch RNA des Virus in unsere Zellen. Andere Viren enthalten DNA, d.h. es gelangt die DNA der Viren in unsere Zellen. Demnach ähnelt die Impfung also dem Prozess einer Infektion mit dem echten Virus.
Und hier einige Nachteile (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
Infobox
Ein Nachteil der mRNA-Impfstoffe ist, dass sie eine stringente Kühlkette benötigen, damit sie nicht kaputtgehen. Während das Covid-19 mRNA-Vakzin von Moderna bei -20 Grad Celsius gelagert werden kann, braucht jenes von BioNTech/Pfizer eine Kühlung bei -70 Grad. Diese extreme Kühlung macht es nötig, dass in Impfzentren und nicht bei jedem Hausarzt geimpft werden kann. Allerdings liesse sich auch dieses Problem zumindest teilweise lösen, so der Immunologe Markus Ollert vom Luxembourg Institute of Health (LIH), etwa wenn BioNTech/ Pfizer in eine veränderte Zusammensetzung des Impfstoffs investiere. Es ist also abzusehen, dass die Notwendigkeit zur extremen Kühlung bei zukünftigen mRNA-Impfstoffen geringer sein wird.
Ollert beschäftigt sich mit der Lösung eines weiteren Problems: Die Covid-19-Impfstoffe enthalten die Chemikalie Polyethylenglykol, kurz PEG, ein nicht-toxisches, großes Molekül (Makromolekül). Sie ist nötig, damit sich die Fettkapseln, in denen die mRNA verpackt ist, in Wasser lösen. PEG ist zwar zugelassen und wird in vielen Medikamenten verwendet, aber bei einem kleinen Bruchteil der Menschen kann es eine allergische Reaktion – einen anaphylaktischen Schock – auslösen. Dieser kann in der Regel aber sofort behandelt und entgegengewirkt werden. "Anhand der weltweit bereits vorliegenden Daten lässt sich berechnen, dass wir in Luxemburg mit etwa zehn Fällen rechnen müssen, in denen diese Reaktion auftreten kann", so Ollert. Forschende aus Europa, die sich mit Allergien befassen, haben deswegen Richtlinien für Impfzentren veröffentlicht, so dass diese schnell reagieren können. Unter anderem sollten sie Adrenalin bereithalten, um der schweren allergischen Reaktion rechtzeitig entgegenwirken zu können.
Da es bisher nur wenige abgeschlossene klinische Studien mit mRNA-Impfstoffen gibt, und auch die vorläufig zugelassenen Covid-19 mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna insgesamt "nur" an rund 70.000 Menschen getestet wurden, sind sehr seltene Nebenwirkungen dieser Art von Impfstoffen die bei einem von Hunderttausend oder gar einer Million vorkommen zur Zeit noch nicht unbedingt bekannt. Dies wird aber – wie bei allen Impfstoffen und Medikamenten – in sogenannten Phase IV klinischen Studien weiter beobachtet. Und hierdurch relativiert sich das Argument etwas: Denn mittlerweile wurden Millionen Menschen weltweit mit einem mRNA-Impfstoff geimpft - bisher ohne Komplikationen die zu einem Stop der weiteren Verabreichung geführt haben. Die Datenlage wird also immer besser.
Mehr Informationen zu den Nebenwirkungen vor allem des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer findest Du hier:
Ein aktuelles Problem der mRNA-Covid-Impfstoffe ist, dass die Anzahl der Dosen vorerst noch gering ist. Dies, weil für die Herstellung von mRNA-Molekülen bestimmte Chemikalien und Enzyme notwendig sind. Die Produktion dieser Ausgangsmaterialien und auch der Aufbau von zertifizierten Produktionsfabriken kostet Zeit. Dieses Problem wird sich aber mit dem Hochfahren der Infrastruktur lösen. So konnte BioNTech/Pfizer im Jahr 2020 "nur" 50 Millionen Dosen liefern. In 2021 sollen es aber schon 2 Milliarden sein.
Wie sieht die Zukunft der mRNA-Impfstoffe aus?
"Die mRNA-Impfstoffe sind revolutionär", sagt Dr. Gérard Schockmel, Infektiologe an den Hôpitaux Robert Schuman.« Vor allem weil sie so einfach herzustellen sind. Das Design eines neuen Impfstoffs ist innerhalb weniger Tage möglich, wenn man genau weiss welche genetische Information gebraucht wird. Die Produktion geht auch schneller als bei herkömmlichen Impfstoffen und ist virusfrei. Ausserdem bietet diese Technologie eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten», so Dr. Schockmel.
Wie bereits im Artikel erwähnt, ist es relativ einfach mRNA-Impfstoffe gegen Virusmutanten herzustellen, indem man die genetische Information für das Spike-Protein der Virusmutante in die neue mRNA aufnimmt. "In Zukunft kann man sich vorstellen, dass mRNA-Impfstoffe entwickelt werden, deren mRNA die genetische Information für die Spike-Proteine mehrerer Virusmutanten enthält. Dann wären die Geimpften mit einer einzelnen Impfung gegen mehrere Virusmutanten geschützt", so Dr. Schockmel.
Auch ist es anhand von mRNA-Impfstoffen relativ einfach, gleichzeitig gegen verschiedene Infektionserreger zu impfen, meint Dr Schockmel. So könnte man z.B. einen mRNA-Impfstoff entwickeln, der gleichzeitig gegen Covid-19 und die saisonale Grippe schützt. Es gibt auch Überlegungen, die vielen Impfungen, die Kinder in ihren ersten Lebensjahren erhalten, zu kombinieren. "Anstelle den Kindern 20 einzelne Impfungen zu verabreichen, bräuchte man sie dann nur noch zwei- oder dreimal zu impfen", so Dr. Schockmel weiter.
Weiteres Innovationspotential sieht der Infektiologe der Robert-Schuman-Krankenhäuser in der Verwendung sogenannter selbstreplizierenden mRNA-Impfstoffe – diese verwenden mRNA-Moleküle die sich ein paar Mal selbst vervielfältigen können. Die mRNA die zurzeit in den Covid-19 Impfstoffen verwendet wird, teilt sich nicht in den Körperzellen. Sie veranlasst die Zellen zur Produktion von Spike-Proteinen und wird anschliessend zersetzt. Eine selbstreplizierende mRNA hingegen vervielfältigt sich in eine gewisse Anzahl von neuen mRNA Molekülen und erhöht damit die Anzahl von Spike-Proteinen die von den Zellen gebildet werden. Anschliessend werden die mRNA-Moleküle zersetzt. Durch den Multiplikationseffekt könnte ein Bruchteil der aktuellen Impfdosis ausreichen um denselben Impfschutz zu erzielen. Mit dieser Ersparnis an Impfsubstanz könnten dann entsprechend viel mehr Menschen geimpft werden.
"Wenn man z.B. einen Replikationsfaktor von 7 wählt, würde in den Körperzellen aus 1 injizierten mRNA-Molekül 2 werden, dann 4, dann 8, dann 16, 32, 64 – und schliesslich 128 mRNA-Moleküle. Während eine nicht-replizierende mRNA nur die Bildung von 1 Spike-Protein erlaubt, würde eine selbst-replizierende mRNA die Bildung von 128 Spike-Proteinen ermöglichen. Einerseits wäre damit der Effekt eines einzigen mRNA-Moleküls 128 x stärker, andererseits hätte man mit einem Hundertachtunzwanzigstel (1/128) der Dosis denselben Effekt wie bei einer nicht-replizierenden mRNA. Die Folge: mit derselben Impfdosis könnte man anstatt nur einem, nun 128 Menschen impfen. Damit käme man der weltweiten Kontrolle der Pandemie mit Meilenstiefeln entgegen", so Dr. Schockmel.
Infobox
Selbstreplizierende mRNA-Moleküle enthalten nicht nur die genetische Information für die Synthese von Spike-Proteinen, sondern überdies auch die genetische Information für die Synthese eines Enzyms namens RNA-Replikase. Dieses Enzym sorgt dafür, dass eine gewisse Anzahl von Kopien der mRNA in den Zellen erstellt werden. Entsprechend braucht es viel weniger mRNA im Impfstoff.
Und schliesslich seien die mRNA-Impfstoffe auch deshalb revolutionär, weil sie Wegbereiter für personalisierte Therapien sein könnten. Z.B. wie bereits im Artikel erwähnt bei Krebspatienten, die nach Verabreichung der entsprechenden mRNA eine Immunabwehr gegen spezifische Proteine auf Tumorzellen entwickeln könnten. Eine andere Anwendung wäre bei Patienten mit seltenen genetischen Krankheiten bei denen aufgrund eines genetischen Defekts bestimmte Schlüsselproteine entweder ganz fehlen oder nicht in ausreichender Menge gebildet werden. Die mRNA würde den Zellen dieser Patienten den Bauplan für die Synthese der fehlenden Proteine liefern. Ein großer Vorteil der mRNA-Technologie wären die vergleichsweise niedrigen Entwicklungs- und Behandlungskosten, was insbesondere bei seltenen Krankheiten, bei denen die Finanzierung stets ein großes Problem darstellt, einen enormen Vorteil böte. Dazu käme die Schnelligkeit mit der mRNA Wirkstoffe entwickelt werden können und das relativ einfache Design dieser Wirkstoffe.
„Dass nun gleich zwei mRNA Impfstoffe den Weg bis zum Einsatz beim Menschen geschafft haben und wir dadurch wertvolle Erfahrungen mit der mRNA-Technologie gewinnen können, hilft nun auch bei der Entwicklung der mRNA-Technologie im Hinblick auf die Behandlung von Krebs und genetischen Leiden“, sagt Dr. Schockmel.
Was die Zukunft bringen wird hinsichtlich der mRNA-Technologie wird sich zeigen. Im Fall der Covid-19 Pandemie hat sich die mRNA-Technologie aber auf jeden Fall schon mal insofern durchgesetzt, dass sie am schnellsten war und die ersten Covid-19 Impfstoffe hervorgebracht hat, die in der EU zugelassen wurden.
Autoren: Cornelia Eisenach (Scitec-Media), Jean-Paul Bertemes (FNR), Michèle Weber (FNR)