Simulation der COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

COVID-19 Task Force, Research Luxembourg

Die Simulationen der COVID-19 Task Force von Research Luxembourg zeigen, "dass ohne zusätzliche Maßnahmen die Zahl der Fälle weiter steigen wird und exponentiell zunimmt".

Disclaimer: Der folgende Artikel basiert auf den Simulationen und Erklärungen des „Report: Controlling the second wave“ von Forschern der COVID-19 Task Force von Research Luxembourg (Autoren: Stefano Magni, Atte Aalto, Laurent Mombaerts, Françoise Kemp, Paul Wilmes, Alexander Skupin, Jorge Goncalves), welcher der Regierung vorgelegt wurde und in vollständiger Fassung seit dem 19. Juli abends hier runtergeladen werden kann: www.researchluxembourg.lu/publications

Hier der vollständige Bericht (auf Englisch).

Im Juni war die Anzahl an täglichen Neuinfektionen in Luxemburg gering. Es schien, als würde der Sommer ruhig verlaufen, eine zweite Welle, wenn überhaupt, dann frühestens im Herbst kommen. Doch nun, zu Ferienbeginn, ist sie schon da, die zweite Welle.

Wie geht es nun weiter? Das will natürlich jeder gerne wissen. Ganz genau kann das natürlich keiner sagen. Doch die Ausbreitung eines Virus kann anhand epidemiologischer Modelle untersucht und prognostiziert werden. Da man das Virus und seine Ausbreitungseigenschaften immer besser versteht, können Forscher immer bessere Simulationen erstellen – Szenarien wie sich das Virus mit großer Wahrscheinlichkeit ausbreiten wird.  

Forscher von Research Luxembourg erstellen regelmäßig mit Hilfe des Luxemburger High Performance Computers solche Simulationen, die über die Zeit immer wieder an die reellen Daten angepasst und verbessert werden und mit immer detaillierteren Daten gespeist werden. (Mehr dazu, wie diese Modelle errechnet werden, weiter unten im Artikel). "Diese Simulationen ermöglichen die zukünftige Ausbreitung des Virus mit Angabe von Wahrscheinlichkeiten vorauszusagen und die Effekte verschiedener Maßnahmen zu simulieren – und helfen somit den Entscheidungsträgern dabei, ihre Entscheidungen zu treffen", sagt Alexander Skupin, der das Work Package 6 der Task Force leitet, eine Gruppe die regelmäßig Simulationen zum Pandemiegeschehen in Luxemburg erstellt. Wobei die Rollen klar verteilt sind: Die Forschung liefert Fakten und kann zum Teil auch Empfehlungen aussprechen, die Entscheidungen trifft aber allein die Politik, die noch weitere (gesellschaftliche, wirtschaftliche, organisatorische ….) Faktoren in ihre Entscheidung mit einfließen lassen muss.

Soviel nur sofort am Anfang: "Der aktuelle Trend der allgemeinen Fallzahlen entspricht einem exponentiellen Anstieg", sagt Paul Wilmes, einer der beiden Sprecher der COVID-19 Task Force von Research Luxembourg, und Mitverfasser der Berichte. Ohne Verhaltensveränderung innerhalb der Bevölkerung, erwartet uns also ein weiterer rasanter Anstieg der Fallzahlen über die nächsten Tage und Wochen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Durch unser Verhalten können wir die Verbreitung des Virus beeinflussen – und somit dazu beitragen, dass die Simulationen so nicht eintreten werden. Die Regierung hat am 19. Juli ja auf einer Pressekonferenz bereits weitere Einschränkungen verkündet. Ein Schritt in die Richtung, das Basisszenario zu beeinflussen. Die Forscher haben weitere Simulationen erstellt, wo sie mögliche Maßnahmen aufzeigen, durch die die Anzahl an täglichen Neuinfektionen nach unten gedrückt werden können - und in welchem Ausmaß (ganz unten im Artikel).

Wir erklären hier im Artikel die Simulationen der Forscher, das Basisszenario, aber auch Simulationen zu den Effekten von einigen konkreten Maßnahmen - also sprich: einige mögliche Ansätze, um das Pandemiegeschehen wieder unter Kontrolle zu kriegen.

Wie wird sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen in den nächsten Tagen laut Simulation entwickeln?

Laut Covid-19 Task Force befinden wir uns momentan in einem exponentiellen Anstieg der Fallzahlen in Luxemburg. Das erste Mal hat die Task Force darauf bereits in ihrem Bericht vom 2. Juli 2020 aufmerksam gemacht (Analyse der Covid-19 Fälle im Hinblick auf eine mögliche 2. Welle (DE)).

Der exponentielle Trend hat sich seither bestätigt. Exponentielle Anstiege haben die Eigenschaft, dass sich die Fallzahlen über einen gewissen Zeitraum verdoppeln. "Aktuell gehen wir von einer Verdopplungszeit von ca. 8-13 Tagen aus", sagt Paul Wilmes. Das heißt alle 8-13 Tage verdoppelt sich die Anzahl der Neuinfektionen.

Basiert auf diesem errechneten Wert, und wenn der derzeitige exponentielle Trend sich fortsetzt (also wir unser derzeitiges Verhalten nicht ändern), wird laut den Simulationen voraussichtlich ab dem 23. Juli die Marke von 200 Neuinfektionen pro Tag überschritten, ca. ab dem 29. Juli die Marke von 300 Neuinfektionen pro Tag, ehe dann Anfang August 400 Neuinfektionen pro Tag überschritten werden…(das fatale an exponentiellen Verläufen: es geht immer schneller weiter…)

Zum Vergleich: Während der ersten Welle war die höchste Zahl an Neuinfektionen an einem Tag 263. Wir wären laut Modell also in ein paar Tagen über dem offiziellen Höchstwert an Neuinfektionen der in Luxemburg seit Beginn der Pandemie gemessen wurde. "Hier muss natürlich aber auch erwähnt werden, dass durch das Large-Scale Testing die Dunkelziffer momentan um einiges geringer ist als zu Beginn der Pandemie. Außerdem werden mittlerweile auch viel mehr Menschen über Contact Tracing ermittelt", merkt Alexander Skupin an. Die Werte können also nur bedingt miteinander verglichen werden.

Hier das ganze Modell der COVID-19 Task Force von Research Luxembourg:

Simulation: Entwicklung der Neuinfektionen in Luxemburg

©COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Die roten Punkte visualisieren die offiziellen Fallzahlen (Neuinfektionen pro Tag). Wie man sieht gibt es in der Realität große Schwankungen. Um einen Trend ersichtlich zu machen, nutzen die Forscher mathematische Mittelwerte. Die hellgrauen Punkte visualisieren einen solchen Mittelwert, der immer am Folgetag errechnet wird. Die dunkelgrauen Punkte visualisieren einen Mittelwert, der über 7 Tage genormt wird, und also den Trend stabiler darstellt. Blau markiert sind die laut Modell errechneten Erwartungswerte, in der Vergangenheit und für die nächsten Tage. Die roten Linien entsprechen dann den sogenannten Unsicherheitsintervallen.

Diese Unsicherheitsintervalle sind wichtig. Ein mathematisches Modell ist nämlich eine Vereinfachung der Wirklichkeit, in der alle relevanten Größen numerisch erfassbar sind. Das luxemburgische Modell ist super komplex und enthält sehr viele Daten, um die Wirklichkeit so gut wie möglich abbilden und vorhersagen zu können (mehr dazu unten im Artikel). Trotzdem gibt es Unsicherheiten. Jede seriöse Simulation gibt daher Wahrscheinlichkeitsintervalle, bzw Unsicherheitsintervalle mit an. In dem Diagramm hier sind sie als rote Linien markiert. "Der Trend (also die gemittelten Werte der Neuinfektionen) wird sich mit einer 99,7%-igen Wahrscheinlichkeit innerhalb dieser Unsicherheitsintervalle bewegen", erklärt Alexander Skupin. Das heißt am 22. Juli kann der Trend auch Richtung 120 Neuinfektionen gehen, oder aber auch Richtung 300. Bisher hat sich jedoch gezeigt, dass der Mittelwert (blaue Punkte) größtenteils relativ nah an der Realität lag.

Die Forscher kommentieren diese Unsicherheitsintervalle folgendermaßen: „Die oberen und unteren Grenzen bieten ein breites Spektrum möglicher Szenarien, die von einem relativ langsamen Anstieg neuer positiver Fälle bis zu einem rasch unkontrollierbaren Anstieg der Fälle reichen. Diese große Unsicherheitsspanne ist darauf zurückzuführen, dass trotz eines scheinbar exponentiellen Anstiegs der LST-Zahlen in den vier Wochen ab dem 15. Juni der Trend in der vergangenen Woche etwas uneinheitlich ist. Hier sind zusätzliche Informationen, wie z.B. von der Kontaktverfolgung, von entscheidender Bedeutung, um genauere Simulationen durchführen zu können.“

Anmerkung 1: Der aktuelle Trend spiegelt unser Verhalten als Gesellschaft dar, also welche Ausbreitungsmöglichkeiten wir dem Virus durch unser Verhalten in den letzten Tagen ermöglicht haben.

Anmerkung 2: Da wir wissen, dass es täglich zum Teil große Schwankungen gibt, ist nicht davon auszugehen, dass an einem präzisen Tag der präzise Wert des Modells erreicht wird. Wenn wir unser Verhalten beibehalten wird sich jedoch höchstwahrscheinlich der Trend bestätigen.

Um die starken Variationen der täglichen Fallzahlen „zu stabilisieren“, betreiben die Forscher sogenanntes Curve-fitting. Wie das ausschaut wenn man näher ranzoomt, sieht man im folgenden Diagramm der COVID-19 Task Force von Research Luxembourg:

©COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Was folgt aus diesen Diagrammen?

Die Forscher der Research Luxembourg COVID-19 Task Force kommentieren  wie folgt: „Diese Erhöhungen [der Fallzahlen] werden zu mehr Krankenhausaufenthalten aufgrund von COVID-19 führen, die ihrerseits seit Anfang Juli ebenfalls stetig zugenommen haben.“ Diese Anmerkung ist wichtig. Denn die Anzahl an Neuinfektionen ist nicht direkt ein Problem. Das Problem ist, dass danach, zeitlich um 1-2 Wochen versetzt, die Zahl an Krankenhausaufenthalten steigt. Und es gilt in der Pandemie ja, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Wobei in der aktuellen Situation die Anzahl an Krankenhausaufenthalten zwar angestiegen ist, doch noch nicht sehr stark, da das Durchschnittsalter der Infizierten laut Aussage von Paulette Lehnert ca 10 Jahre jünger ist als bei der ersten Welle. Da die Schwere des Verlaufs mit dem Alter zusammenhängt, hält sich durch dieses jüngere Durchschnittsalter momentan im Verhältnis zur ersten Welle die Anzahl an Krankenhausaufenthalten noch in Grenzen. Doch es muss damit gerechnet werden, dass jüngere Menschen auch ältere Menschen anstecken werden (vor allem falls das Infektionsgeschehen mittlerweile in der gesamten Gesellschaft „streuen“ sollte) – und auch bei jüngeren Menschen kann es zu schweren Krankheitsverläufen kommen.

Basierend auf den Daten die den Forschern zur Verfügung stehen kommen sie zu dem Fazit: „Wenn die derzeitige Dynamik anhält, ist bereits Ende August mit einem Mangel an verfügbaren Betten auf der Intensivstation (ICU) zu rechnen.“

Voraussichtliche Entwicklung der kumulierten Fallzahlen in den nächsten Tagen

Da viele von uns auf Medienportalen gewohnt sind, das Diagramm mit den kumulierten Fallzahlen anzuschauen, hier dann auch das Diagramm der COVID-19 Task Force von Research Luxembourg mit der voraussichtlichen Entwicklung der kumulierten Fallzahlen, falls sich der aktuelle Trend fortsetzt:

©COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Der Kommentar der Autoren des Berichts: „Auf der Grundlage der Kurvenanpassung der jüngsten COVID-19-Fallzahlen in Luxemburg könnte die Gesamtzahl der Fälle in Luxemburg bis zum 29. Juli die Marke von 8.000 Fällen überschreiten, wenn die derzeitigen Trends anhalten.“

Auf diesem Diagramm sieht man auch ganz gut, wie die Pandemie sich bisher in Luxemburg entwickelt hat und wie dies modelliert werden konnte.

Phase 1 (schwarze Linie, ganz zu Beginn der Pandemie im März): Dort befanden wir uns in einem exponentiellen Wachstumsszenario. Wie sich die Fallzahlen entwickelt hätten, wenn kein Lockdown beschlossen worden wäre, zeigt sich anhand der gestrichelten schwarzen Linie. Doch es wurde ja eben ein Lockdwon beschlossen, so dass sich dieser Trend nicht fortgesetzt hat.

Phase 2 (orangene Linie): Diese Phase in der sich das exponentielle Wachstum auflöste, konnte am besten durch ein lineares Wachstumsmodell parametrisiert werden. (Die gestrichelte Linie zeigt, wie die Pandemie weiter verlaufen wäre, wenn dieser Trend sich weiter durchgesetzt hätte).

Phase 3 (blaue Linie): Ab hier gingen die Fallzahlen dann merklich nach unten. Um dies zu parametrisieren, wurde wieder ein exponentielles Modell genutzt, das einen exponentiellen Rückgang der Fallzahlen darstellt.

Phase 4 (grüne Linie): Dann begann, nachdem die Situation sich stabilisiert hatte, der schrittweise Exit aus dem Lockdown. Diese Phase konnte gut modelliert werden mit einem linearen Wachstum von ca. 6 Neuinfektionen pro Tag. Dies ging relativ lange relativ konstant so weiter. Doch so ab der zweiten Hälfte Juni gibt es dann erste Indizien, dass sich dieses lineare Wachstum in ein exponentielles Wachstum wandelt.

Phase 5 (rote Linie): Der Trend folgt nun wieder einem exponentiellen Anstieg der Fallzahlen. Wenn wir nichts an unserem Verhalten ändern, entspricht der voraussichtliche Trend der roten Linie im Diagramm. Die aktuell berechnete Verdopplungszeit der Fallzahlen liegt bei ca. 8 Tagen.   

Entwicklung der effektiven Reproduktionszahl

Dass die Anzahl an Neuinfektionen zurzeit steigt, wird auch anhand der effektiven Reproduktionszahl ersichtlich. Diese ist seit ca Mitte Juni höher als 1. Die Analyse der Forscher: „Die Situation in Luxemburg hinsichtlich der Übertragung von SARS-CoV-2 innerhalb der Bevölkerung und der daraus resultierenden COVID-19-Fallzahlen bleibt dynamisch. Die effektive Reproduktionszahl liegt weiterhin über 1 [Stand 18. Juli: 1,24, basierend auf Daten bis zum 18. Juli], was bedeutet, dass im Durchschnitt ein infiziertes Individuum mehr als ein anderes infiziert, was wiederum zu einem Anstieg der Fälle führt.“

©COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Wie sicher ist es, dass der Anstieg so rasant fortschreiten wird? Und was ist der Einfluss vom Large Scale Testing?

„Obwohl die groß angelegten Tests (LST) zur Aufdeckung neuer positiver Fälle beitragen, gibt es einen allgemeinen Trend zu mehr positiven Tests im Verhältnis zur Gesamtzahl der durchgeführten Tests“, erklären die Forscher. In anderen Worten: Auch ohne Large Scale Testing gäbe es mehr positive Fälle.

Das Large-Scale Testing sei aber sehr wichtig als Überwachsungsinstrument für COVID-19 Fälle in Luxemburg, da es täglich umfassende Momentaufnahmen der Bevölkerung zur Verfügung stellt. "Sozusagen ist das Large-Scale Testing (LST) eine tagtägliche Prävalenzstudie der luxemburgischen Bevölkerung", sagt Paul Wilmes.

Die Zahlen des LST erlauben auch, die Verdopplungszeit zu errechnen. Doch je nachdem wie man diese Zahl errechnet, kommen die Forscher auf einen anderen Wert. Zitat aus dem Bericht von Research Luxembourg: „Basierend auf der Kurvenanpassung der aktuellsten Zahlen positiver Fälle, die durch den LST entdeckt wurden (basierend auf Daten bis zum 18. Juli), beträgt die derzeit geschätzte Verdoppelungszeit 8,6 Tage.“

©COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Wenn man jedoch die aktuellen Prävalenzwerte heranzieht (also die geschätzte Verbreitung des Virus innerhalb der Bevölkerung), die aus dem LST abgeleitet wurden, beträgt die derzeit geschätzte Verdopplungszeit 13,2 Tage – wenn auch mit einem ziemlich hohen Grad an Unsicherheit.

©COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Was bedeutet dies? Die Forscher erklären: „Angesichts der Spanne der Verdoppelungszeiten von 8 bis 13,2 Tagen aus den vorgelegten Analysen bleibt unklar, ob sich der jüngste Anstieg der Fälle auf Cluster beschränkt oder ob es bereits zu einer breiteren Übertragung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung gekommen ist.“

Simulationen der Effekte von möglichen neuen Maßnahmen

Die Forscher haben auch Simulationen erstellt, die die Wirkung verschiedener Maßnahmen widerspiegeln, nämlich:

  • die manuelle Ermittlung von Kontaktpersonen,
  • die Beschränkung privater Zusammenkünfte
  • die Förderung des Homeoffice

jeweils in Bezug auf die voraussichtliche Fallzahl, die Belegung der Intensivstationen und die erwartete Zahl der Todesfälle.

Anmerkungen: Die Auswirkungen der Ferienzeit wurden in den Modellen nicht berücksichtigt. „Dies wird sich wahrscheinlich bis Ende August auf die Zahlen auswirken, aber es besteht eine große Unsicherheit darüber, wann und wie viele Menschen im Ausland sein werden. Der einzige Aspekt, der in den Simulationen berücksichtigt wird, ist der Bausektor, der im August kollektiv beurlaubt sein wird“, schreiben die Forscher.

Des Weiteren merken die Forscher an, dass wesentliche Informationen fehlen würden, ob die Mehrheit der neuen positiven Fälle auf Cluster zurückzuführen sei (worauf einige vorläufige Beweise hindeuten) oder ob es sich um eine weit verbreitete, diffuse Übertragung in der Gemeinschaft handeln würde. „Mit aktuelleren Informationen beabsichtigen wir, unsere Modelle in der kommenden Woche neu zu parametrisieren, um die Auswirkungen der hervorgehobenen Maßnahmen genauer beurteilen zu können“, merken die Forscher an.

Und schließlich: Diese Modelle wurden noch nicht an die neusten Entwicklungen der letzten Tage angepasst. Daher ergibt sich ein weniger steiler Peak als in den Simulationen, die wir bisher im Artikel gezeigt haben. Die nun folgenden Modelle können also nicht 1 zu 1 mit den bisher im Artikel gezeigten Modelle verglichen werden, können aber sehr gut untereinander verglichen werden. Und darauf kommt es hier an: Im Vergleich zum Basisszenario zu schauen, wie sich im Verhältnis die entsprechende Maßnahme auswirken würde.

- Basisszenario

© COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Annahmen zu privaten Treffen in diesem Basisszenario

  • 50% der Bevölkerung laden wöchentlich entweder Gäste ein oder werden als Gäste eingeladen (seit 29. Mai)
    • In solchen Hausgemeinschaften gibt es neben dem Gastgeberhaushalt Personen aus (im Durchschnitt) 2,5 Haushalten
    • 75% der Gäste haben ihre ganze Familie dabei
    • 80 % der Hausgastkontakte werden zurückverfolgt, falls jemand positiv getestet wird.
  • 50% der Bevölkerung nehmen wöchentlich an Versammlungen im Freien teil (seit 29. Mai)
    • An diesen Versammlungen nehmen Personen aus durchschnittlich 10 Haushalten teil.
    • 10% der Kontakte werden zurückverfolgt, falls jemand positiv getestet wird.

Beim derzeitigen Ausgangswert gehen wir davon aus, dass kurz vor dem 1. Juli noch 102.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Telearbeit geleistet haben. Am 1. Juli kehrten zwei Drittel von ihnen zur Büroarbeit zurück.

- Erhöhung der Kapazität zur manuellen Kontaktverfolgung am 20. Juli auf 120 (gegenüber dem Basisszenario)

© COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Das aktuelle Basisszenario geht von einer maximalen Kontaktverfolgungskapazität von 60 neuen positiven Fällen pro Tag aus (in der am weitesten links stehenden Grafik durch eine rote Linie angezeigt).

- Private Zusammenkünfte um 80% reduziert am 20. Juli, gegenüber dem Basisszenario

© COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Die Verringerung der privaten Zusammenkünfte bedeutet, dass der Anteil der Personen, die solche Veranstaltungen pro Woche besuchen, am 20. Juli von 50% auf 10% reduziert wird.

- Förderung der Telearbeit ab 20. Juli im Vergleich zum Basisszenario

© COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

Es wird davon ausgegangen, dass die Förderung der Telearbeit zu einer Halbierung derer führt, die seit dem 1. Juli wieder im Büro arbeiten. Dieses Szenario basiert auf der Annahme, dass am 1. Juli zwei Drittel dieser Beschäftigten wieder in das Büro zurückkehrten. Das Szenario geht davon aus, dass die Hälfte der Personen, die wieder im Büro arbeiten (34.000), am 20. Juli wieder in die Telearbeit zurückkehren. Sie kommen aus Sektoren, in denen Telearbeit relativ einfach ist.

- Erhöhung der Kapazität zur manuellen Ermittlung von Kontaktpersonen auf 120, Reduzierung der privaten Zusammenkünfte um 80% reduziert und Förderung der Telearbeit ab dem 20. Juli im Vergleich zum Basisszenario

© COVID-19 Task Force von Research Luxembourg

aut den Berechnungen der Forscher führt ein "weiter so" zu einer Situation, in der wir unser Gesundheitssystem überlasten. Es können aber Massnahmen ergriffen werden, die den exponentiellen Anstieg an Neuinfektionen bremsen. Die Simulationen der Forscher haben ergeben, dass die Erhöhung der Kapazität zur manuellen Ermittlung von Kontaktpersonen auf 120, die gleichzeitige Reduzierung der privaten Zusammenkünfte um 80% und die gleichzeitige Förderung der Telearbeit ab dem 20. Juli im Vergleich zum Basisszenario das Pandemiegeschehen so entschleunigen könnte, dass die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht überschritten werden. 

Erklärungen zu den Modellen: Wie werden sie errechnet? Welche Daten fließen in diese Modelle ein? Wie werden sie mit der Zeit verbessert?

Die ersten Modelle, die die Forscher in Luxemburg nutzten, basierten sich auf Zahlen aus Wuhan. Schnell stellte sich raus, dass diese Werte nicht im Einklang waren mit den Werten für Luxemburg. Daraufhin wurde nach und nach ein komplexeres Modell erstellt.

Das COVID-19 Model, das die Forscher in Luxemburg nutzen, um die Pandemie hierzulande zu beschreiben, besteht aus 2 Hauptkomponenten, sagt Alexander Skupin:

  • einem Netzwerk-basierten epidemiologischen Infektionsmodel (epidemic model)
  • einem Model zum Krankheitsverlaufs (disease model), wobei individuelle Personen als „stochastische Agenten“ unter Berücksichtigung ihrer Gruppenzugehörigkeit im Hinblick auf Alter, Beruf, potentielle Komorbiditäten und anderen Faktoren parametrisiert werden können.

Schematische Darstellung des Models, das aus einem netzwerkbasiertem Infektionsmodel (Epidemic model) und einem Model zum Krankheitsverlauf (Disease model) besteht. Mit diesem Ansatz stellt das Model eine Erweiterung klassischer epidemiologischer Modelle dar, indem es sowohl einen COVID-19 spezifischen Krankheitsverlauf berücksichtigt als auch eine individualisierte Implementierung der Sektoren- und Sozialisierung-spezifischen Interaktionen erlaubt.

Dieses Modell wurde danach nochmals mit detaillierteren daten parametrisiert. Die Forscher erklären dies in ihrem Policy Brief vom 20. Juni wie folgt: „Die Modell-Version 3 berücksichtigt dabei detaillierte Subnetzwerke, die aus IGSS-Daten abgeleitet wurden und explizit die sozialen Interaktionsnetzwerke beinhaltet, die sich aus Haushalten, dem Angestelltenverhältnissen, den Schulstufen, sowie allgemeinen sozialen Interaktionen und den sich daraus resultierende Interaktionen zusammensetzen. Dies erlaubt eine realistische Abschätzung der Interaktionen und den damit verbundenen Infektionsketten sowie z.B. eine altersabhängige Charakterisierung der Subnetzwerke.“

Darüber hinaus integriert Version 3 die aus IGSS-Datensätzen verfügbaren detaillierten sektorenspezifischen Aktivitäten, die durch NACE-Codes2 definiert sind.

Detailliertere Informationen zu den Simulationen sind unter folgendem Link zu finden: www.researchluxembourg.lu/publications

Ganz zum Schluss ist noch anzumerken, dass die Forscher in ihren Simulationen nicht alle Szenarien durchspielen können und sich vor allem auf die momentane Datenlage konzentrieren. "Es ist gut möglich, dass es bei der derzeitigen Pandemie zu einem ständigen Auf und Ab kommt. Also dass nach einer Lockerung von restriktiven Massnahmen die Zahlen hochgehen, dann darauf reagiert wird, die Zahlen wieder runtergehen, dann wieder gelockert wird und die Zahlen wieder hochgehen usw. Das können wir so natürlich aber nicht im Voraus seriös simulieren. Wir können nur aufgrund der momentanen Datenlage und des aktuellen Kenntnisstandes unsere Simulationen erstellen", sagt Paul Wilmes.

Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)

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